In Corona-Zeiten müssen Hartz IV Antragssteller ihr eigenes Vermögen nur dann einsetzen, wenn es erheblich ist. Laut Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen sind die dabei pauschal festgelegten Vermögensfreigrenzen jedoch nicht mit dem Gesetz vereinbar.
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Corona-Krise: Nur erhebliches Vermögen muss eingesetzt werden
Dem Urteil lag der Fall einer Juristin aus dem Raum Hannover zugrunde. Die Frau beantragte im Mai 2020 Hartz IV Leistungen. Mit dem im Sozialschutzpaket I eingebrachten § 67 SGB II vereinfachte die Bundesregierung in Zeiten der Corona-Krise den Zugang zu Leistungen der Grundsicherung. Neben der Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten schreibt der Paragraf ebenfalls vor, dass Vermögen lediglich dann primär zur Sicherung des Lebensunterhalts eingesetzt werden muss, wenn es erheblich ist. Als erheblich gelten gem. der Weisung der Bundesagentur für Arbeit, die sich an den Verwaltungsvorschriften zu § 21 Wohngeldgesetz (WoGG) orientiert, diese Beträge:
- 60.000 Euro für das erste zu berücksichtigende Haushaltsmitglied und
- 30.000 Euro für jedes weitere zu berücksichtigende Haushaltsmitglied
Liegt das Vermögen eines Antragsstellers unterhalb dieser Grenzen, müssen dazu keine Angaben im Hartz IV Antrag gemacht werden. Auf diese Weise sollen besonders Solo-Selbstständige und Kleinunternehmer mit pandemiebedingten Einkommensverlusten unterstützt werden.
Dazu: Bis Ende 2021: Vereinfachter Zugang zu Hartz IV verlängert!
Vermögen von 59.900 Euro
Da sich im Antrag der Frau unklare Angaben fanden, forderte das Jobcenter Kontoauszüge an. Dabei wurde festgestellt, dass die Juristin über 59.900 Euro Vermögen verfügt – gerade einmal 100 Euro unter der Grenze. Zudem konnte das Jobcenter einsehen, dass kurz zuvor zweimal 2.000 Euro abgehoben wurden. Verwendungsnachweise konnte und wollte die Antragstellerin nicht liefern. Sie beharrte vielmehr darauf, dass ihr Vermögen unterhalb der in Corona-Zeiten festgelegten Freigrenze von 60.000 Euro läge und ihr Anspruch auf Hartz IV dadurch gerechtfertigt sei.
LSG: Vermögensfreigrenzen nicht gesetzeskonform!
Nachdem das Jobcenter den Leistungsanspruch der Frau ablehnte, zog diese vor Gericht – allerdings ohne Erfolg. Aus Sicht des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen sei schon allein zweifelhaft, ob die Lage der Juristin eine Anwendung der Vorschriften zum vereinfachten Zugang zu Hartz IV rechtfertige. Ihre Situation sei schließlich nicht mit der prekären coronabedingten Lage der Solo-Selbstständigen und Kleinunternehmer vergleichbar.
Grundsätzlich könne der festgelegte Vermögensfreibetrag jedoch nicht allgemein gelten. Die durch die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit festgelegten Freibeträge richten sich nach den Verwaltungsvorschriften im Wohngeldgesetz – diese würden im für Hartz IV Leistungen maßgebenden SGB II jedoch nicht gestützt werden. Auch sei deren Ausrichtung an früheren Freibetragsgrenzen der abgeschafften Vermögenssteuer „kein geeigneter Maßstab“.
Prüfung des Einzelfalls nötig
Laut Urteil des Gerichts könne man Missbrauchsfälle nicht anhand pauschal festgelegter Vermögensgrenzen identifizieren. Vielmehr läge erhebliches Vermögen dann vor, wenn bei der Prüfung des Einzelfalls für jedermann ersichtlich sei, dass ein Anspruch auf Hartz IV Leistungen nicht gerechtfertigt sein könne – dabei kann der pauschale Wert von 60.000 Euro deutlich unterschritten werden. Wie im verhandelten Fall, würde bei der Klägerin nur das sog. Schonvermögen greifen, welches auch Hartz IV Bedürftigen im laufenden Bezug zusteht. Bei der 39-jährigen Juristin mangelt es an Hilfebedürftigkeit, da sie ihren Lebensunterhalt offensichtlich aus laufendem Einkommen oder vorhandenem Vermögen sicherstellen könne.
Als Freibetrag für das Schonvermögen gelten 150 Euro pro Lebensjahr sowie 750 Euro für notwendige Anschaffungen – insgesamt 6.600 Euro, Das Guthaben auf dem Girokonto der Klägerin mit über 57.000 Euro überschreitet diesen Freibetrag deutlich, weshalb ein Leistungsanspruch dementsprechend nicht begründet werden kann.
Verfahrensgang:
- Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 21.01.2021, Az.: L 7 AS 5/21 B ER
- Sozialgericht Hannover, Urteil v. 18.12.2020, Az.: S 43 AS 486/20 ER
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