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Hartz IV Aktivist fordert „Arbeit mit Sinn“ für alle

Aktivisten nehmen an einer Demo teil

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit der Hartz IV Sanktionen hallt noch nach (Urt. v. 05.11.2019, Az. 1 BvL 7/16). Ab sofort sind nur noch Kürzungen des Regelsatzes in Höhe von 30 Prozent erlaubt. Für den Menschenrechtsaktivisten Ralph Boes, der selbst mehrfach sanktioniert wurde, ein Schritt in die richtige Richtung. Boes hat mit seinem Aktivismus das Gutachten initiiert, das das Sozialgericht Gotha dazu veranlasste, Verfassungsbeschwerde gegen Hartz IV Sanktionen einzulegen. HartzIV.org hat mit ihm im Exklusivinterview gesprochen.

Ralph Boes

Ralph Boes, Aktivist und Initiator des Gutachtens des Sozialgerichts Gotha

Sanktionen dürfen keine Schikane sein

Hartziv.org: Sie als Initiator des Gutachtens, das die Verhandlung von Sanktionen am Bundesverfassungsgericht überhaupt erst ins Rollen gebracht hat, was halten Sie von dem Ergebnis?

Boes: Das ist das bestmögliche Ergebnis, was man sich hat vorstellen können. Die 60 und 100 Prozent Sanktionen sind ganz weg. 30 Prozent sind noch erlaubt aber nur als „Kann“ und nicht als „Muss“. Sanktionen gibt es nur noch unter verschärften Bedingungen. Das heißt, es muss erst geprüft werden, ob sie wirklich zum Ziel führen und nicht nur einfache Schikane sind. Besser hätte man es sich nicht vorstellen können.

Hartziv.org: Ist das für Sie ein Schritt in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen?

Boes: Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die Richtung. Aber das bedingungslose Grundeinkommen kommt natürlich nicht über ein Urteil des Verfassungsgerichts, sondern muss über politische Aktivitäten entstehen.

Urteil bringt Vertrauen in den Staat zurück

Hartziv.org: Wie sieht aus ihrer Sicht die Zukunft von Hartz IV aus?

Boes: Ich hatte völlig das Vertrauen in unseren Staat verloren. Dieses Urteil hat es in gewisser Weise wiederhergestellt. Die Politik hat mein Vertrauen nicht, der Staat aber doch. Der Staat ist ja durch das Grundgesetz verankert und das so ein Urteil jetzt möglich war, ist unglaublich für mich.

Hartziv.org: Sie glauben also, dass das Urteil eine reelle Lebensverbesserung für die Hartz IV Empfänger bedeutet?

Boes: Ja, das auf jeden Fall. Aber es gibt noch ein paar Baustellen. Zum Beispiel braucht die Erwerbsarbeit dringend mehr Aufmerksamkeit. Es ist wichtiger zu sagen, dass Arbeit Sinn haben muss. Der Sinn, dass man Geld selber verdient ist da aber sie muss auch andersherum Sinn machen. Es scheint noch offen zu sein, ob die Erwerbsarbeit im Vordergrund steht und der Sinn der Arbeit wird noch wie eine heiße Kartoffel bearbeitet. Ich habe noch 14 oder 16 verschiedene Prozesse, die dies thematisieren.

Arbeit muss „Sinn“ machen

Hartziv.org: Könnten Sie ein Beispiel eines Prozesses nennen?

Boes: Der Großteil der Prozesse sind 100 Prozent Sanktionen. Zehn 100 Prozent Sanktionen am Stück, das ist von vorneherein verfassungswidrig gewesen in jeder Weise. Ich habe 3 Jahre kein Geld für Essen, Wohnung und Krankenkasse bekommen nur, weil ich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von Sanktionen gestellt habe.

HartzIv.org: Weshalb wurden Sie sanktioniert?

Boes: Aus meiner Sicht wurde ich sanktioniert, weil ich offen gesagt habe, dass meine Arbeit Sinn machen muss. Da stellt sich die Frage, ob man diskriminiert wird, wenn man offen äußert „meine Arbeit muss Sinn machen“. Wenn ich nachweisen kann, dass meine Arbeit Sinn macht und mich weiterbringt, muss ich dieser Arbeit nachgehen dürfen-auch, wenn diese Arbeit unbezahlt ist. Wer die Sinnfrage am Ende zu beantworten oder zu entscheiden hat, ist auch wichtig zu klären. Ein Außenstehender kann sie unter Umständen für den Einzelnen nicht beantworten. Diese Frage steht in meinen Prozessen noch aus.

Hartziv.org: Vielen Dank.

Titelbild: Rawpixel.com/ shutterstock.com