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Abstellgleis: Ältere im Hartz IV Bezug sind bedeutungslos

Trauriger älterer Mann

Wenn eine Gruppe von Menschen auf dem Papier gar nicht existiert, wie kann die Politik dann Rücksicht auf die Bedürfnisse eben dieser Menschen nehmen? Wie sollen diese Menschen angemessen gefördert werden? Diese Fragen stellen sich angesichts der neuen Erkenntnisse, die eine Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken zutage förderte.

Über 58-Jährige zählen nicht dazu

Viele ältere Arbeitslose fallen aus der Statistik, dies ergab die Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann, die dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vorliegt. Der Antwort zufolge ergeben die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit , dass im Jahr 2019 durchschnittlich mehr als 171.000 über 58-jährige nicht mehr als Arbeitslose gezählt wurden. Diese Umstände sind maßgeblich einer gesetzlichen Sonderreglung geschuldet.

Sonderreglung schließt ältere Hartz IV Empfänger aus

Diese Sonderreglung erfolgt nach § 53a Abs. 2 SGB II. Dem Paragraphen zufolge werden über 58-Jährige nicht mehr als arbeitslos gezählt, wenn sie bei Vollendung des 58. Lebensjahres mindestens 12 Monate lang Hartz IV Leistungen bezogen und dabei keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mehr angeboten bekommen haben:

„Erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die nach Vollendung des 58. Lebensjahres mindestens für die Dauer von zwölf Monaten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezogen haben, ohne dass ihnen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten worden ist, gelten nach Ablauf dieses Zeitraums für die Dauer des jeweiligen Leistungsbezugs nicht als arbeitslos“, heißt es dort.

LINKE übt scharfe Kritik

Für Sabine Zimmermann hat die Sonderregelung wenig mit Transparenz zu tun: „Diese Sonderregel fügt sich in andere Statistikmaßnahmen zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit ein“, moniert die Sozialexpertin der Linken gegenüber dem RND – von einem „Schönrechnen“ der Zahlen ist die Rede. Schon früher waren die Tricks und Manipulationen der Arbeitsmarktstatistik Grund zur Aufregung. Der systematische Ausschluss von über 58-Jährigen aus der Statistik würde zudem der Wiedereingliederung dieser Personengruppe in den Arbeitsmarkt gegenüberstehen: „Dass arbeitslose über 58-jährige Hartz-IV-Beziehende nach einem Jahr ohne Jobangebot automatisch nicht mehr als arbeitslos gelten, schafft Anreize zur Nichtförderung dieser Personengruppe“, so Zimmermann.

Viele Arbeitslose werden nicht gezählt

Doch nicht nur über 58-Jährige fallen aus der Statistik. Im Januar 2020 seien den offiziellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zufolge 2.425.523 Menschen in Deutschland arbeitslos. Recherchen von HartzIV.org zufolge werden jedoch laut Monatsbericht der Agentur für Arbeit neben mittlerweile 172.425 über 58-jährigen Arbeitslosen die folgenden Personengruppen außer Acht gelassen:

  • Ein-Euro-Jobber: 64.194
  • Förderung von Arbeitsverhältnissen: 2.075
  • Fremdförderung: 176.344
  • Teilhabe am Arbeitsmarkt (gemäß § 16i SGB II): 34.757
  • berufliche Weiterbildung: 174.057
  • Aktivierung und berufliche Eingliederung: 194.119
  • Beschäftigungszuschuss (für schwer zu vermittelnde Arbeitslose): 1.623
  • Kranke Arbeitslose (gemäß §146 SGB III): 60.042

Den Zahlen der Agentur für Arbeit zufolge werden damit 879.636 Arbeitslose nicht von der Statistik erfasst. Die Zahl der Arbeitslosen insgesamt steigt dadurch für Januar 2020 von 2.425.523 auf 3.305.159. Der ehemalige Arbeitsminister und heutiger Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte einst in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der Arbeitsmarktstatistik: „Ich glaube, dass man sich auf die Seriosität dieses Prozesses verlassen kann“ – Vertrauen ist gut, Kontrolle ist eben doch besser.

Titelbild: Oleg Golovnev/ shutterstock.com