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Versprechen und Realität beim Bürgergeld klaffen auseinander

Wütende Frau mit Telefon in der Hand

Unterschiedlicher könnte die Einschätzung zum Bürgergeld kaum sein. Der Macher hinter der Reform, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), hört bei seiner Jobcenter-Rundreise fast nur lobende Worte. Geht man indes dorthin, wo es richtig wehtut, würden dem Minister vermutlich die Leviten gelesen – etwa in der Wärmestube in Halle (an der Saale). Dort spüren weder die Sozialarbeiter noch die Betroffenen etwas von einem neuen, frischen Wind. Im Gegenteil: Vielen geht es mit dem Bürgergeld schlechter.

Jobcenter-Tour des Ministers

Hubertus Heil hat jetzt schon mehrere Jobcenter besucht. Die Ergebnisse der Gespräche dokumentiert die Servicestelle SGB II, eine Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. „Segel setzen, Horizonte schaffen“, ist der Beitrag zur Stippvisite in Kiel überschrieben. Man sieht lächelnde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und liest nur Positives.

Wunsch nach auskömmlichem Haushalt

Dass man dem Chef nicht gleich die Kritik um die Ohren haut, versteht sich. Wenn dann aber, wie bei einem der vorigen Besuche, nur um weniger Bürokratie und in Kiel um einen auskömmlichen Finanzhaushalt gebeten wird, entsteht ein Zerrbild. Das gilt umso mehr, wenn dort steht, das Bürgergeld sei ein „lebensnahes Gesetz für neue Chancen“ und größere Sicherheit.

Nur eine Seite der Medaille

Hier zeigt sich einmal mehr, dass Hubertus Heil und viele seiner Kollegen in puncto Bürgergeld mit Scheuklappen unterwegs sind. Sicher ist es wichtig, mit denen zu sprechen, die das Gesetz umsetzen müssen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen stehen jene, die auf das Bürgergeld angewiesen sind. Mit den Betroffenen hat Hubertus Heil bis jetzt nicht gesprochen – übrigens auch nicht im Rahmen der Überlegungen zur Hartz IV Reform, obwohl die Sozialverbände mehrfach Gesprächsbereitschaft signalisiert hatten.

Das Gespräch mit Betroffenen

Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) hat sich die Zeit genommen und Menschen zu Wort kommen lassen, die direkt vom Bürgergeld betroffen sind. Einmal Bürgergeldempfänger und dann Sozialarbeiter, die sich täglich die Nöte anhören und teils Aufgaben übernehmen, die eigentlich den Jobcentern obliegen.

Kaum Unterschiede zu Hartz IV

Der Leiter der Wärmestube der evangelischen Stadtmission in Halle (an der Saale), Heiko Wünsch, macht keinen Hehl daraus, dass von den Bürgergeld-Versprechen wenig bei den Menschen angekommen ist.

„Ich merke kaum Unterschiede zu Hartz IV“,

erklärt er im Interview. Das sagt viel aus – mehr als die Lobhudelei der Jobcenter-Mitarbeiter vor dem Arbeitgeber.

Wärmestube übernimmt Jobcenter-Aufgaben

Heiko Wünsch und seine Kollegen beraten Armutsbetroffene und Bürgergeld Bedürftige, helfen beim Umgang mit den Ämtern. Sie würden teilweise die Arbeit der Jobcenter übernehmen. Der Grund:

„Informationen und Neuerungen zum Bürgergeld sind von Anfang an nicht transparent genug rübergebracht worden.“

Regelsätze reichen nicht

Doch der Schuh drückt nicht nur bei der Beratung. Weitaus schwerer wiegt, dass die Menschen mit dem Bürgergeld nicht mehr über den Monat kommen. Die Anpassung der Regelsätze sei zwar positiv, folge aber nicht den Preiserhöhungen, etwa bei Lebensmitteln.

„Somit ist eine reale Kürzung der Leistungen vorhanden“,

betont Heiko Wünsch. Die Konsequenzen müssen er, seine Kollegen und die Tafeln ausbaden, die derzeit völlig überlastet seien.

Lebensmittelpreise beschneiden die Kaufkraft von Bürgergeld Bedürftigen

Bessere Förderung für Ältere

Daher steht auf der Wunschliste Betroffener mehr als nur ein Hauch weniger Bürokratie. Heiko Wünsch wirft der Regierung vor, ältere Bürgergeld Bedürftige weiterhin kaum zu fördern und Aufstockern zu wenig Möglichkeiten zur Fortbildung zu bieten. Nur so könnten aus Hilfskräften Fachkräfte werden.

Es droht eine Überlastung der Jobcenter

Fraglich sei außerdem, so die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, ob die Jobcenter die Neuerungen beim Bürgergeld, die mit dem 1. Juli umgesetzt werden sollen, überhaupt stemmen können. Schon jetzt sei die Arbeit mit den knappen personellen und finanziellen Ressourcen kaum zu bewältigen. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) sieht auf Nachfrage des MDR zwar eine höhere Arbeitsbelastung, aber noch keine kritischen Bearbeitungszeiten.

Probleme werden ausgeblendet

Diese Probleme dürften aber nicht allzu lange auf sich warten lassen. Doch das blendet die Politik gerne aus. Da passt es wie die Faust aufs Auge, dass die Vorstandsvorsitzende der BA, Andrea Nahles, so gerne Pippi Langstrumpf zitiert:

„Ich mach‘ mir die Welt, Widdewidde wie sie mir gefällt …“