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Gericht definiert neue Regeln für angemessenen Wohnraum bei Bürgergeld

LSG: Angemessene Wohnkosten beim Bürgergeld

Dieses Urteil könnte weitreichende Folgen haben: Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat im Hinblick auf die Angemessenheit von Wohnraum beim Bürgergeld eine neue Richtschnur gezogen. Demnach müssen sich Jobcenter bei der Übernahme der Kosten an den Mieten für Sozialwohnungen orientieren. Damit gab das Gericht der Klage einer Frau statt, die einen Teil der Unterkunftskosten aus dem Regelbedarf selbst tragen sollte (Aktenzeichen L 32 AS 1888/17, Urteil vom 30. März 2023).

Bezahlbarer Wohnraum ist Mangelware

In Berlin eine günstige Wohnung zu finden, gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die Nachfrage ist groß und der soziale Wohnungsbau stockt. Dieser Konstellation trug jetzt auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Rechnung. Es hatte den Fall einer Frau zu verhandeln, deren Wohnung vom zuständigen Jobcenter als unangemessen teuer bewertet worden war – mit allen sich daraus ergebenden Folgen.

Jobcenter wertet Miete als zu hoch

640 Euro Miete und Heizung für eine 90 Quadratmeter große Dreiraumwohnung sollte das Amt für die damaligen Hartz IV Empfängerin (heute Bürgergeld) übernehmen. Eine günstigere Alternative habe sie nicht finden können. Das Jobcenter hielt jedoch nur 480 Euro für angemessen. Grundlage für diese Einschätzung waren die Ausführungsvorschriften der zuständigen Senatsverwaltung. Die sehen vor, dass die Angemessenheit auf Basis des aktuellen Mietspiegels aus den durchschnittlichen Mieten für einfache Wohnungen abgeleitet werden muss.

Angemessenheit falsch definiert

Das sei unzulässig, erklärte jetzt der 32. Senat des Landessozialgerichts. Auf diese Weise würde nur der durchschnittliche Fall der Angemessenheit, nicht aber die obere Grenze erfasst. Zweifelsohne dürften Jobcenter auf Wohnungen verweisen,

„die lediglich einfache Bedürfnisse für eine sichere Unterkunft befriedigen“.

Dieser Wohnraum müsse für Bürgergeld-Empfänger dann aber auch tatsächlich zur Verfügung stehen.

Massive Angebotslücke in Berlin

Genau da liegt das Problem – und das ist hinreichend bekannt. Bereits im Jahr 2019 hat der Senat in seinem Wohnraumbedarfsbericht Zahlen veröffentlicht, die die Brisanz am Wohnungsmarkt widerspiegeln. Bei 76.000 Haushalten (davon 33.000 Einpersonenhaushalte), die auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind, lagen die Mietkosten über den Grenzwerten des Jobcenters. Heißt: Die Differenz muss aus eigener Tasche bezahlt werden. Und: Es gibt in Berlin eine „massive Angebotslücke von 345.000 Wohnungen“ allein für Einpersonenhaushalte.

Bürgergeld: Fachaufsichtsbeschwerde gegen rechtswidrige Mietobergrenzen

Berliner Verhältnisse berücksichtigen

Einen Grenzwert könne das Gericht nicht festlegen. Berücksichtige man jedoch die Kosten für Sozialwohnungen,

„die gerade für Grundsicherungsempfänger als angemessener Wohnraum bereitgestellt werden sollen“,

sei die Miete der Klägerin nicht zu hoch gewesen. Grundsätzlich gelte: Mietpreise, die für nach dem Recht des sozialen Wohnungsbaus geförderte Wohnungen gezahlt werden, könnten nicht als unangemessen angesehen werden.

Das LSG nahm auch Bezug zu den Vorgaben des Bundessozialgerichts. Laut Urteil vom 30. Januar 2019 (Aktenzeichen B 14 AS 24/18 R) müsse sich die Obergrenze für Unterkunftskosten, sofern kein Mietspiegel vorliege, an der Wohngeldtabelle plus zehn Prozent orientieren. Dieses Vorgehen sei für Berliner Verhältnisse jedoch ungeeignet, so die Richter. Unter diesen Voraussetzungen wären selbst Sozialwohnungen nicht mehr angemessen.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls hat das Landessozialgericht eine Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Titelbild: SimonTheSorcerer / shutterstock.com