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Mangelnde Teilhabe beim Bürgergeld gleicht dem Verlust der Menschenrechte

Frau schiebt leeren Einkaufswagen und schaut auf ihren Einkaufszettel

Von wegen gute Nachricht: Die allgemeine Teuerung mag mit geschätzt 7,4 Prozent für März 2023 zwar rückgängig sein. Die Preise für Nahrungsmittel steigen allerdings munter weiter. Erwartet wird in diesem Bereich eine Inflationsrate von 22,3 Prozent (Februar: 21,8 Prozent). Für viele Haushalte ist das eine Hiobsbotschaft. Schon jetzt können Bürgergeld-Empfänger, Geringverdiener und Rentner die Einkäufe kaum bezahlen. Ausbaden müssen das vor allem die Tafeln. Ein Problem, das der Gesellschaftswissenschaftler Stefan Selke aufgegriffen hat.

Die Tafeln und soziale Gerechtigkeit

Nach eigener Aussage befasst sich Selke seit 2008 mit dem Thema Tafeln. Den Anfang machte die Sozialreportage „Fast ganz unten“ (Westfälisches Dampfboot, Münster). Inzwischen liegt der Schwerpunkt seiner Forschung auf der Armutsökonomie. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) hat er klare Worte zur Aufgabe der Tafeln und sozialer Gerechtigkeit gefunden.

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Zwei Millionen Hilfebedürftige

Aktuell sind über zwei Millionen Menschen auf die Hilfe der Tafeln angewiesen. Viele der Einrichtungen sehen sich nicht mehr in der Lage, dem Ansturm Herr zu werden. Die Ausgabe wird rationiert, neue Hilfebedürftige – ob mit oder ohne Bürgergeld – kommen auf eine Warteliste oder aber man muss stundenlang Schlange stehen. Diese Bilder gehören in vielen Städten längst zum Alltag. Und werden angesichts der weiterhin hohen Teuerung auch nicht so schnell verschwinden.

Es muss sich dringend etwas ändern

Stefan Selke sieht diese Entwicklung kritisch:

„Dass die Tafeln so am Anschlag sind, zeigt doch, wie dringend sich etwas ändern muss.“

Das Freiwilligensystem der Tafeln könne nicht die Aufgaben der Grundversorgung und der Existenzsicherung leisten. Gleichwohl müsse das Engagement honoriert werden. Die vielen Helfer würden trotz aller Probleme weitermachen und ihr Bestes geben.

Was ist das Soziale wert?

Aber, so der Professor für Gesellschaftlichen Wandel an der Hochschule Furtwangen:

„Auf der anderen Seite ist es jetzt Zeit für eine grundsätzliche Debatte darüber, was uns das Soziale noch wert ist.“

Statt zu fragen, wie der Staat den Tafeln helfen könne, müsse vielmehr darüber nachgedacht werden, wie man den Menschen genug zum Leben gebe, ohne sie fremd zu bestimmen.

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Es droht ein Demokratieproblem

In einer Konsumgesellschaft nicht am Konsum teilhaben zu können, gleiche einem Verlust der Bürgerrechte, mahnt Stefan Selke:

„Damit bekommen wir früher oder später ein Demokratieproblem.“

Grundsätzlich gelte, dass es mit Almosensystemen keine soziale Gerechtigkeit geben könne.

Menschen retten, nicht Lebensmittel

Diese Aussage sei keine Kritik an den Tafeln. Deren Arbeit lobt der Wissenschaftler. Sie sorgten seit 30 Jahren für die Stabilisierung einer „kalten“ Gesellschaft. Armut werde immer weiter in dieses System delegiert. Stefan Selke fordert daher: „Man sollte Menschen retten, nicht Lebensmittel.“ Dazu müssten die Ursachen der Armut bekämpft und der Fokus darauf gelegt werden, dass Menschen genug zum Leben haben.

Bild: columbo.photog/ shutterstockc.om