Zum Inhalt springen

Insiderin: Auch Jobcenter-Mitarbeiter müssen mit Bürgergeld aufstocken

Jobcenter Mitarbeiterinnen sitzen sich gegenüber Bürgergeld beantragen

Der Fisch stinkt vom Kopf. Das trifft auch auf das System Bürgergeld zu. Allzu oft wird über Sachbearbeiter und Jobcenter gemeckert. Nur: Wenn die Strukturen nicht stimmen, können selbst noch so engagierte Mitarbeiter das Ruder nicht herumreißen. Dann sind Fehler an der Tagesordnung, baut sich Frust auf beiden Seiten des Schreibtisches auf und man darf sich nicht wundern, wenn die Stellenausschreibungen der Jobcenter verstauben. Eine Insiderin packt aus.

Eine Sachbearbeiterin schildert ihren Alltag

38 Jahre jung, verbeamtete Sachbearbeiterin im Leistungsservice des Jobcenters Hannover: Das ist Katharina-Sophia Gerking. Sie schildert ihren Werdegang und ihren Alltag in einem Interview mit der Gewerkschaft ver.di. Die Einblicke, die sie dabei gibt, sind erschreckend. Von den Versprechen wie Bürokratieabbau und Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist man auch mit dem Bürgergeld noch Äonen entfernt – weil die Politik es verschlafen hat, die Grundlagen zu schaffen.

Uralt-Software und Excel-Tabellen

Dieses Problem zieht sich seit Jahren durch das System Hartz IV und wird mit dem Bürgergeld nicht enden. Für das Jobcenter Hannover, das 2005 mit dem SGB II in einer Ad-hoc-Aktion entstand, hieß das: Die Mitarbeiter hatten veraltete Software, mussten Berechnungen separat in Excel erledigen, weil die Programme dazu nicht in der Lage waren. Kurzum:

„Fehler waren dabei vorprogrammiert“,

so Katharina-Sophia Gerking.

Tennislehrer im Crashkurs zum Sachbearbeiter

Die Ausstattung ist jedoch nicht die einzige Baustelle. Es mangelt laut Interview auch an Personal und der nötigen Ausbildung. Es gebe kaum ausgebildete Verwaltungsfachangestellte. Viele erhielten einen viermonatigen Kursus, statt einer dreijährigen Ausbildung. Dann würden auch mal Tennislehrer direkt auf Bürgergeld-Betroffene losgelassen.

Wirtschaft bietet Fachkräften bessere Chancen

Katharina-Sophie Gerking hatte Glück. Ihr wurden im Jobcenter Aufstiegschancen geboten. Die seien inzwischen beschränkt und auch die Bezahlung nicht sonderlich attraktiv, wenn man die Anforderungen berücksichtige. In der freien Wirtschaft ließen sich bessere Angebote finden. Auch vor dem Hintergrund, dass es fast nur befristete Verträge gebe und viele nach der zweiten Befristung „rausgesetzt werden“.

Der Beweis für die schlechte Bezahlung: Im Jobcenter Hannover gibt es Ansprechpartner für Mitarbeiter, die selbst parallel zu ihrer Arbeit das Bürgergeld beantragen und ihren Lohn mit den Sozialleistungen aufstocken müssen.

Verstockte Strukturen

Angesichts ständig neuer Vorgaben, der Tatsache, dass Überstunden längst Usus seien, ebenso Beleidigungen und Bedrohungen – selbst im Privaten – dürfe man sich nicht wundern, wenn viele nach einem Jahr von sich aus das Handtuch schmissen. Als Grund für die vielen Probleme nennt sie die „verstockten Strukturen“, durch die Mitarbeiter ausgebremst und nicht motiviert würden. „So hält man keine Fachkräfte“, warnt Katharina-Sophia Gerking.

Schnellschuss der Politik

Sie gibt der Politik die Schuld. Es werde ein Klima geschaffen, das dazu führe, dass Konflikte schnell eskalierten. Den „Schnellschuss mit dem Bürgergeld“ nimmt die Beamtin ihrem Dienstherrn, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), daher übel. Weil die Software (wie schon vor Jahren) nicht pünktlich zur zweiten Stufe des Bürgergelds umgestellt werden kann, befürchtet sie,

„dass es entweder im Chaos endet oder massiv auf die Gesundheit von Kolleg*innen“

gehe.

Nicht nur auf die Jobcenter schimpfen

Wenn also etwas schiefläuft, sollte man nicht gleich den Sachbearbeiter beschimpfen. Es mag zwar „schwarze Schafe“ geben. Die eigentlichen Urheber für die meisten Probleme sitzen im Elfenbeinturm und haben das Fußvolk längst aus den Augen verloren.

Das gesamte Interview auf der Seite von ver.di

Bild: Jeanette Dietl/ shutterstock.com