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Bürgergeld: das Dilemma mit den Stromkosten

Stromzähler mit Seitenschneider als Symbol für Stromsperre

Das Geld reicht nicht. Der Regelbedarf für Strom im Bürgergeld ist inzwischen über 25 Prozent niedriger als die tatsächlichen Kosten. Das bestätigen Experten ebenso wie die Berechnungen von Vergleichsportalen. Hilfe für Betroffene ist allerdings nicht in Sicht. Sie müssen sehen, wo sie bleiben und hoffen, die Mehrkosten Monat für Monat stemmen zu können. Sonst droht im schlimmsten Fall eine Stromsperre. Doch welche Optionen bestehen?

Unterdeckung von mindestens 25 Prozent

Im Bürgergeld sind bei einem Ein-Personen-Haushalt 40,74 Euro für Haushaltsstrom vorgesehen. In Berlin zahlt man allerdings im günstigsten Fall knapp 51 Euro. Selbst unter Berücksichtigung der Strompreisbremse bleibt es bei rund 49 Euro und einer Unterdeckung, die auf Dauer nur schwer aus anderen Bedarfen finanziert werden kann – zumal auch Lebensmittel und Co. teurer werden.

Unterdeckung: Bürgergeld reicht nicht für die Stromkosten

Härtefallmehrbedarf geltend machen

Harald Thomé vom Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles hat sich Gedanken darüber gemacht, wie Bürgergeld-Bedürftige auf die steigenden Stromkosten reagieren können. Seine Überlegungen münden in dem Vorschlag, einen Härtefallmehrbedarf als unabweisbaren laufenden Bedarf gemäß § 21 Absatz 6 SGB II geltend zu machen.

Das sagt das Bundesverfassungsgericht

Grundlage sind die gestiegenen Stromkosten. Sie liegen aktuell durchschnittlich 60 Prozent höher als im Jahr 2021. Der Bürgergeld-Regelsatz sei jedoch nur um 11,8 Prozent erhöht worden. Zu einer solchen Differenz habe sich das Bundesverfassungsgericht bereits 2014 geäußert:

„Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden […]. Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.“

(BVerfG 23.7.2014 – 1 BvL 10/12; 1 BvL 12/12; 1 BvR 1691/13; Rn. 144).

Gesetzgeber hat noch nicht reagiert

Der Gesetzgeber könne nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts auf eine solche Situation, wie sie laut Harald Thomé im Jahr 2023 eingetreten sei, durch

„zusätzliche Ansprüche auf Zuschüsse zur Sicherung des existenznotwendigen Bedarfs reagieren“.

Bislang wurde das Problem jedoch weitgehend ausgeblendet und nicht darauf reagiert.

Bürgergeld mit diesen Tricks kleingerechnet – 725 Euro plus Strom anstatt 502 Euro 

Betroffene müssen aktiv werden

Daher der Gedanke, dass Betroffene über den Härtefallmehrbedarf selbst aktiv werden. Denn die Sicherung der Energieversorgung gelte als unerlässliches Grundrecht und grundlegende Voraussetzung der Daseinsvorsorge. Ob es sich allerdings tatsächlich um einen solchen Mehrbedarf handelt, ist nur schwer einzuschätzen.

Urteile zum unabweisbaren Bedarf

Dazu listet Harald Thomé mehrere Urteile auf. Bei Hygienekosten seien 20,45 Euro vom Bundessozialgericht als „unabweisbarer Bedarf“ anerkannt worden (BSG 19.8.2010 − B 14 AS 13/10 R; LPK-SGB II § 21 Rn. 44). Das Landessozialgericht Hamburg urteilte ähnlich und sieht „bei einem regelmäßigen monatlichen Aufwand von – mindestens – 20 Euro ein erhebliches Abweichen von dem durchschnittlichen Bedarf“ (LSG Hamburg 5.8.2021 – L 4 AS 25/20, Rn. 58).

Klärung liegt bei den Gerichten

Daraus schließt der Verein Tacheles, dass ein unabweisbarer Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II vorliegt, wenn die Stromkosten im Monat um mindestens 20 Euro höher sind, als der Regelsatz vorsieht. Diese Mehrkosten müssten Bürgergeld-Empfänger als Härtefallmehrbedarf und die Stromnachzahlung als einmaligen Bedarf geltend machen.

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Jobcenter wird Härtefallanträge ablehnen

Die Anträge würden, da ist Harald Thomé sicher, abgelehnt und stattdessen ein Darlehen angeboten. Letztlich laufe es darauf hinaus, Widerspruch einzulegen und „ins Klageverfahren zu gehen“. Denn die Klärung liege bei den Gerichten, nachdem das Bundesministerium für Arbeit und die Bundesagentur für Arbeit keinen abweichenden Bedarf sehen.