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Warum arbeiten Bürgergeld-Bedürftige nicht einfach?

Symbolbild für Bürgergeld-Hetzer: Junger Mann mit Bierflasche in Hängematte

„Mitarbeiter gesucht“ klebt inzwischen bei fast jedem Handwerksbetrieb auf den Fahrzeugen. Zig offene Stellen, für die händeringend jemand gesucht wird. Trotzdem sind 5,7 Millionen Menschen in Deutschland auf Grundsicherung angewiesen. In der klassischen Stammtischlogik lautet die Antwort auf diese Diskrepanz: Bürgergeld-Empfänger wollen gar nicht arbeiten. Richtig wäre indes, dass viele nicht arbeiten können oder arbeiten und trotzdem Bürgergeld benötigen. Ein Jobcenter-Chef klärt auf.

Arbeitslosigkeit und Hilfebedürftigkeit

Thomas Lenz ist Chef des Wuppertaler Jobcenters. Gegenüber der Tagesschau hat er sich dazu geäußert, warum Millionen Menschen keiner Arbeit nachgehen (können). Allein in seiner Region ist inzwischen jeder siebte auf Bürgergeld und Leistungen vom Jobcenter angewiesen. Betroffene einfach auf die Stellenangebote hinzuweisen, wäre jedoch viel zu kurz gegriffen.

Aufstocker & Co.

Nimmt man die Zahl 5,7 Millionen auseinander, bleiben laut Thomas Lenz nur 1,7 Millionen Personen, die tatsächlich „arbeitslos“ sind. Überdies handele es sich um Kinder, Jugendliche sowie Bürgergeld-Bedürftige, die Kinder oder Angehörige betreuen, und daher allesamt „dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen“. Plus all jene Aufstocker, die sich Tag für Tag abmühen und dennoch Bürgergeld beantragen müssen, weil der Lohn nicht reicht.

Die Neiddebatte ums Bürgergeld geht munter weiter

Keine Chance am ersten Arbeitsmarkt

Der Pool von 1,7 Millionen möglichen Arbeitskräften bietet Bürgergeld-Hetzern allerdings nach wie vor reichlich Grund, von der sozialen Hängematte zu sprechen. Dabei wird jedoch übersehen, dass unter dem Strich nur wenige für den ersten Arbeitsmarkt infrage kommen. Auf dieses Problem weist der Arbeitsmarktökonom Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft hin.

Langzeitarbeitslosigkeit macht krank

Der Jobcenter-Chef kennt die Situation. 80 Prozent der Betroffenen hätten keinen Schulabschluss oder keine Berufsausbildung. Viele könnten aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht arbeiten. Daraus ergebe sich bisweilen ein Teufelskreis, weiß Thomas Lenz:

„Langzeitarbeitslosigkeit macht krank und grenzt betroffene Menschen aus der Gesellschaft aus.“

Er hofft, dass mit dem Bürgergeld jetzt mehr Möglichkeiten bestehen, Menschen zu qualifizieren, statt sie einfach nur in einen Job zu stecken.

Neu im Bürgergeld: das Weiterbildungsgeld

Es gibt kein Patentrezept

Denn eines gilt nach wie vor, so Holger Schäfer: Das Ziel der Sozialpolitik müsse sein, „Menschen zu befähigen, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten“. Das sei nur durch Arbeit möglich. Allerdings gebe es kein Patentrezept, wie man Arbeitslosigkeit reduzieren könne. Wohl aber Ansätze und Vorschläge, wie man sich besser für die Zukunft rüsten kann.

Fairer Lohn und bessere Bildung

Dazu müsse man sich, so Thomas Lenz, den „tieferen Ursachen zuwenden“. Und da fallen ihm gleich mehrere Punkte ein. Das Schulsystem müsse reformiert werden, denn ohne Bildung bleibe der Arbeitsmarkt schwierig. Darüber hinaus sei es dringend nötig, über gerechte Löhne zu sprechen und den Wert der Arbeit in der Gesellschaft wieder mehr zu schätzen. Kurzum: Es seien grundlegende Änderungen nötig.

Nach unten treten ist leichter

Damit dürfte eines klar sein: Ganz so einfach ist es nicht, die Probleme am Arbeitsmarkt auf Bürgergeld-Bedürftige abzuwälzen und sie allesamt als faul abzustempeln. Doch der Tritt nach unten fällt vielen leichter als der nach oben.

Bild: Pixel-Shot/ shutterstock.com