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Trotz Bürgergeld Erhöhung: Nahrungsmittel werden zum Luxus

Einkaufswagen mit 100 Euro Scheinen und Lebensmittel

Völlig untergegangen in der Bürgergeld-Debatte um Sanktionen und Schonvermögen ist das Thema Regelsatz. Hier waren sich die Regierung sowie CDU/CSU von Anfang an einig: 502 Euro reichen für einen Single vollkommen aus. Dass Hartz 5 deutlich höher ausfällt als Hartz IV ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Teuerung weitaus schneller steigt und Betroffene damit seit Monaten vor dem Problem stehen, wie sie den Kühlschrank füllen und einigermaßen gesund satt werden sollen. 

Die Inflation schreitet munter voran

Um das Problem zu verdeutlichen, benötigt man keine komplizierten Zahlenspiele und muss auch nicht sonderlich tief in den Zahlenwerken graben. Es reicht ein Blick auf die Werte, die das Statistische Bundesamt Monat für Monat präsentiert – für Nahrungsmittel allgemein sowie eine Vielzahl einzelner Produkte wie Milch, Butter und Fleisch.

Lebensmittel-Teuerung: 21 Prozent

Bei Nahrungsmitteln liegt die Teuerung im November demnach bei 21,0 Prozent (vorläufiger Wert). Im Oktober waren es 20,3 Prozent (September 18,7 Prozent, August 15,7 Prozent). Hinter diesen Daten stehen jedoch nicht ausschließlich Grundnahrungsmittel, sondern alles, was unter den Obergriff Nahrungsmittel fällt.

Fette inzwischen fast 50 Prozent teurer

Für Hartz IV Betroffene, Rentner und Haushalte mit geringem Einkommen, die nicht jede Woche Sekt, frischen Fisch oder Rindfleisch kaufen, sind daher einzelne Werte wesentlich aussagekräftiger. Bei Speisefetten und Speiseölen stehen plus 49,7 Prozent zu Buche. Bei Milch sind es 33 Prozent, bei Mehl- und Getreideerzeugnissen 33,5 Prozent. Die 21,0 Prozent Teuerung bei Lebensmitteln bewegt sich insofern eher am unteren Rand. (Alle Daten: destatis.de)

Hartz V Anpassung: 11,8 Prozent

Dem steht eine Anpassung der Hartz IV Regelsätze um 11,8 Prozent oder 53 Euro gegenüber. Ein alleinstehender Erwachsener erhält künftig 502 statt 449 Euro Bürgergeld. Setzt man diese 11,8 Prozent in Relation zu den 21 Prozent, sollte wirklich jeder erkennen: Da passt etwas nicht.

Obwohl man über die erweiterte Fortschreibung, den zweiten Berechnungsschritt für Hartz 5, die aktuelle Inflation berücksichtigt, gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen der Anpassung der Regelsätze und dem, was Betroffene dank der Inflation mehr bezahlen müssen. Ganz plump gerechnet, beträgt die Differenz 9,2 Prozent.

Bürgergeld: Kleinrechnerei geht bei Hartz 5 weiter

Diskrepanz Inflation zu Hartz V: 9,2 Prozent

Bezogen auf den Hartz V Regelbedarf für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren von 174,19 Euro bedeuten diese 9,2 Prozent immerhin 16,03 Euro zu wenig im Portemonnaie. Dieser Betrag fehlt Bedürftigen aber nicht erst ab Januar 2023, sondern schon jetzt – und zwar Monat für Monat.

Auch Strom belastet das Budget

Das Geld hier oder da aus anderen Regelbedarfen abzuzweigen, ist zwar rein theoretisch möglich. Praktisch indes fressen nicht nur die Lebensmittel ein Loch in den Geldbeutel. Auch der Strom wird schneller teurer, als das Bürgergeld nächstes Jahr steigt. Laut energeimarie.de liegt der durchschnittliche Strompreis 2022 um 15,5 Prozent höher als im Vorjahr. Auch hier ergibt sich also – weiterhin – ein Fehlbetrag.

Regierung ist beim Thema Soforthilfe taub

Daher haben der Sozialverband Deutschland, der Sozialverband VdK, die Partei „Die Linke“ und auch der Paritätische Wohlfahrtsverband die Ampelkoalition schon vor Monaten dazu aufgerufen, noch in diesem Jahr zusätzlich zu Hartz IV eine Soforthilfe zwischen 100 und 200 Euro pro Monat zu zahlen.

Tafeln äußern Unverständnis

Darauf ist niemand eingegangen. Stattdessen lobt man sich für 53 Euro mehr, die schon heute nicht ausreichen, um die Teuerung aufzufangen. Mit diesem Dilemma werden vor allem die Tafeln konfrontiert. Ihnen wird im wahrsten Sinne des Wortes die Bude eingerannt. Entsprechend verstimmt äußert man sich auf Twitter zum Bürgergeld:

„Völlig unverständlich, wie sich in dieser Lage @spdbt @GrueneBundestag @fdpbt auf ein viel zu niedriges #Bürgergeld einigen konnten.“

Verbände halten an Musterklage fest

Dieser Ansicht sind auch die großen Sozialverbände. Sie halten trotz Bürgergeld an ihrer Musterklage gegen die Hartz IV Regelsätze fest. Geklagt wird, weil das Bundesverfassungsgericht schon 2010 und 2014 deutlich gemacht hat:

„Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.“

(BVerfG 23.7.2014 – 1 BvL 10/12 ua, Rn. 144).

Nötig wären 725 Euro

Da die Regierung nicht reagiert und der Inflation keine echte Hilfe entgegensetzt – abgesehen von einer Einmalzahlung, die nicht einmal die höheren Kosten gedeckt hat – geht es vor Gericht. Nötig wären, das hat der Paritätische Wohlfahrtsverband berechnet, inzwischen 725 Euro pro Monat plus die Übernahme der Stromkosten.

Bild: Andrzej Rostek/ shutterstock.com