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Hartz IV Streit übersieht das Wichtigste: den Menschen selbst

Armer älterer Mann vor einem leeren Kühlschrank

Langsam ufert es aus. Mal wird über zu hohe Regelsätze bei Hartz IV und Hartz V gestritten. Dann pickt man sich die Sanktionen und die Heizkosten heraus. Und wenn es um die Betroffenen geht, steht der Generalverdacht direkt im Raum. Sie sind einfach nur zu faul, können nicht richtig heizen oder kaufen falsch ein. Die Sorgen, die Hartz IV Bedürftige, Geringverdiener und Rentner haben, werden ausgeblendet. Stattdessen wiegelt man auf und vergisst, worum es geht: den Menschen.

Gesellschaft wird gespalten

Dieses Ausholen von links nach rechts, das Treten von oben nach unten hilft niemandem und geht vielen inzwischen gewaltig auf die Nerven. Das Schlimme daran: Der Streit färbt ab. Das führt auf Dauer dazu, dass der Riss durch die Gesellschaft immer tiefer wird.

Immer mehr Menschen auf Hilfe angewiesen

Dabei ist es längst so, dass Menschen mit geringem Einkommen, Rentner und all jene, die auf Hartz IV und künftig Hartz V angewiesen sind, zumindest bei den Tafeln in Eintracht auf die Ausgabe der Lebensmittel warten. Hier sitzen alle in einem Boot. Doch statt gemeinsam für mehr soziale Gerechtigkeit zu kämpfen, lässt man sich aufstacheln und sieht die Schuld für die eigene Lage bei denen, die noch weniger haben. Doch was, wenn man plötzlich selbst ganz unten steht?

Tafeln haben zwei Millionen Kunden

Wie schnell das gehen kann, zeigen die Zahlen der Tafeln. Menschen, die sich nie hätten träumen lassen, einmal für Butter, Brot und ein paar Äpfel Schlange stehen zu müssen, warten jetzt Woche für Woche verschämt auf Lebensmittelspenden. Zwei Millionen Betroffene sind auf diese Unterstützung angewiesen.

Ohne Tafel müssten viele Hartz IV Bedürftige hungern

Betroffene durch den Winter bringen

Der Vorsitzende des Dachverbands Tafel Deutschland, Jochen Brühl, erklärte jüngst gegenüber der FAZ:

„Seit Jahresbeginn verzeichnen wir einen Anstieg der Kundinnen und Kunden von 50 Prozent.“

Viele Tafeln seien völlig überlastet und müssten Aufnahmestopps verhängen. Er warnt: „Was der Staat nicht schafft“ könnten auch die Tafeln nicht auffangen:

„Wir sind ein reiches Land, wir können es schaffen, dass alle Menschen gut durch diesen Winter kommen.“

13,8 Millionen Menschen sind armutsbetroffen

Doch statt der Armut den Kampf anzusagen, zankt man wie kleine Kinder und zieht sich schmollend in seine Ecke zurück. Die Tatsache, dass 13,8 Millionen Menschen armutsbetroffen sind und jedes fünfte Kind in Armut lebt, geht in dieser unsäglichen Diskussion unter. Überspitzt formuliert: Während die Parteien darüber streiten, ob Hartz IV Bedürftige es womöglich zu warm haben, reißt die Armutswelle auch die Mittelschicht in den Abgrund.

Aus Scham werden Hilfen nicht angenommen

Ein weiterer Effekt der Bürgergeld-Debatte: Menschen, die Hilfe nötig und auch Anspruch zum Beispiel auf Wohngeld haben, trauen sich nicht zum Amt zu gehen. Oder man schämt sich. Denn im Streit um Hartz IV und Hartz V blitzt immer wieder auf, dass man eigentlich nur mehr Leistung zeigen müsste und deshalb selbst die Schuld daran trägt, wenn man nicht über die Runden kommt.

Armut ist keine Randerscheinung

Dieses Bild wurde in den vergangenen Wochen mannigfach immer wieder neu gemalt. Dass Menschen krank werden, Schicksalsschläge erleiden oder altersbedingt „ausgemustert“ werden, spielt keine Rolle und scheint dann einfach nur Pech zu sein. Denn es ist ja so viel einfacher, alle über einen Kamm zu scheren, statt zuzugeben, dass Armut auch in Deutschland keine Randerscheinung mehr ist.

Spielchen auf dem Rücken der Ärmsten

Entsprechend harsch reagieren Menschen, die Tag für Tag von den Sorgen und Nöten anderer hören. Dazu zählt Dr. Ulrich Schneider, Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Er ist ein Mann der klaren Worte:

„Wenn Partei-Politstrategen ihre Spielchen auf dem Rücken der Ärmsten austragen ohne irgendwelche Rücksicht auf deren Ängste und Nöte, fehlt mir dafür nicht nur jedes Verständnis. Es widert mich an.“

Menschenverachtende Hetzkampagne

Auch Helena Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei ist das Gefeilsche und den Streit leid: „Die aktuelle Bürgergeld-Debatte ist eine arbeitsmarktbornierte, leistungsideologische, menschenverachtende Hetzkampagne gegen arme Menschen, die völlig davon ablenkt, worum es eigentlich gehen muss.“

Sie weist darauf hin, dass sich für Betroffene kaum etwas ändere. „Die Armut grassiert währenddessen und kann ihr Spiel ungesehen treiben mit Alleinerziehenden, Pflegenden, Kindern, Menschen, die kaum eine Chance haben, aus dem Bezug rauszukommen.“

Hasstiraden gegen Betroffene

Vielleicht wäre die Politik gut beraten, ein paar Minuten mit dem Hashtag #Ichbinarmutsbetroffen auf Twitter zu verbringen. BlueFoxAkira bringt dort auf den Punkt, womit Menschen, die arm sind, jeden Tag konfrontiert werden: Mit Vorwürfen wie „du bist nur zu faul zum arbeiten“, „ich wünscht ich hät so viel Freizeit wie du“ oder „du siehst garnet krank aus“.

#IchBinArmutsbetroffen: Das Leben am Rand der Gesellschaft

Diese Hasstiraden werden immer weiter zunehmen, wenn die Politik es nicht schafft, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Für den Anfang würde es schon reichen, endlich anzuerkennen, dass Armut tatsächlich existiert und immer mehr Menschen Angst bereitet.

Bild: ChameleonsEye/ shutterstock.com