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Heizkosten können einmaligen Hartz IV Anspruch begründen

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Jeden Tag neue Hiobsbotschaften zu explodierenden Kosten für Heizung und Energie und eine Abmilderung in naher Zukunft ist aktuell nicht absehbar, im Gegenteil. So treibt natürlich viele Bürger die Angst um, wie sie die hohen Heizkosten stemmen sollen, zumal die Inflation allgemein zugenommen hat, so dass ohnehin schon weniger im Portemonnaie ist. Der Frust ist groß, was man auch an den Kommentaren in den sozialen Medien liest – hier beschweren sich nicht Hilfebedürftige über die „soziale Hängematte“ und dass Hartz IV Bedürftige alle Heizkosten vom Jobcenter bezahlt bekommen und man selbst nicht weiß, wie es gehen soll und man sich verschulden wird.

Hinweis: Entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass bei Hartz IV Bezug die Heizkosten vollständig und unlimitiert übernommen werden, ist falsch. Das Jobcenter zahlt nur die angemessenen Heizkosten. Wurde bereits im laufenden Hartz IV Bezug ein Kostensenkungsverfahren vom Jobcenter eingeleitet, weil in der Vergangenheit die Kosten der Unterkunft und Heizung über der Angemessenheitsgrenze lagen, muss der Differenzbetrag nach sechs Monaten (Abschluss des Kostensenkungsverfahrens) selbst aus dem Bürgergeld Regelsatz (ehemals Hartz IV) bestritten werden.

Heizkostenübernahme vom Jobcenter ohne laufenden Hartz IV Bezug

Erhalten Nicht-Hilfebedürftige, deren Einkommen den eigenen Bedarf deckt und sie so normalerweise keinen Anspruch auf Hartz IV haben, eine hohe Heizkostennachzahlung, so können Sie aufgrund der hohen Nachzahlung Hartz IV beantragen und die Übernahme der Heizkosten vom Jobcenter fordern. Es muss sich aber nicht nur um eine Nachzahlung handeln. Auch die Beschaffung von Brennstoffen wie Heizöl, Pellets etc. kann einen Anspruch auf Hartz IV im Monat der Beschaffung begründen. Dies gilt auch, wenn beispielsweise bereits Wohngeld und / oder Kinderzuschlag bezogen wird, da das Wohngeld lediglich für die Unterkunftskosten ohne Heizung und Strom gezahlt wird..

300 Euro Energiepreispauschale: Auch bei Hartz IV besteht Anspruch

Dies ist möglich durch den vereinfachten Zugang zur Grundsicherung aus der Übergangsregelung des § 67 SGB II, welche noch bis zum 31.12.2022 gilt. Hiernach wird bei Hartz IV in den ersten sechs Monaten ab Antragstellung die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung nicht überprüft. Ebenso wird von einer Vermögensprüfung abgesehen, sofern der Antragsteller im Antrag erklärt, das Vermögen sei unerheblich – als unerheblich gelten 60.000 Euro für den Antragsteller sowie für jedes weitere Haushaltsmitglied 30.000 Euro. Liegt das Vermögen über der Erheblichkeitsgrenze, besteht kein Anspruch auf Hartz IV

Hintergrund ist, dass bei Hartz IV nach § 22 Abs. 1 SGB II bzw. bei Sozialhilfe nach § 35 Abs. 1 SGB XII die Kosten für Unterkunft und Heizung zum Gesamtbedarf zählen. Ist die einmalige Heizkostennachzahlung so hoch, dass durch eigenes Einkommen der Gesamtbedarf (der Familie) nicht mehr gedeckt werden kann, entsteht im Monat der Zahlungsfälligkeit zu den Heizkosten eine einmalige Bedürftigkeit und damit temporär Anspruch auf Grundsicherung. Dies gilt übrigens nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch Selbständige, Studenten etc. – Rentner können beispielsweise in einem solchen Fall Grundsicherung im Alter beantragen.

Voraussetzung: Die einmalig hohe Nachzahlung für Heizkosten begründet nur im Monat der Fälligkeit einen höheren Gesamtbedarf, weshalb der Hartz IV Antrag auch zwingend in diesem Monat gestellt werden muss. Geht der Antrag zu spät ein, entfällt der Anspruch.

Bedürftigkeitsprüfung (Beispielrechnungen)

Mit dem Bürgergeld Rechner lässt sich ermitteln, ob Anspruch auf Hilfe vom Jobcenter besteht. Hierfür haben wir ein paar Musterrechnungen durchgeführt.

Familie mit 2 Kindern (ohne Nachzahlung)

Berechnungsbeispiel Hartz IV Bedarf Familie ohne Heizkostennachzahlung

Thomas ist Geselle in einem Handwerksbetrieb und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern (7 und 11 Jahre) in einer Mietwohnung in Berlin. Sein Bruttoeinkommen beträgt 2.500 Euro monatlich, netto bleiben 1.967 Euro übrig. Die Ehefrau verdient 450 Euro aus einem Minijob monatlich. Miete und Nebenkosten (ohne Heizkosten) belaufen sich auf 700 Euro monatlich. Zusätzlich werden 140 Euro monatlich für Heizkosten an den Gasversorger überwiesen. Nach den Grundsätzen zum Arbeitslosengeld II hat die Familie einen monatlichen Bedarf von 2.270 Euro – dem gegenüber stehen eigene und anrechenbare Einkünfte (inkl. Kindergeld) von 2.355 Euro. Da die Familie ihren Gesamtbedarf aus Einkommen decken kann, besteht kein Hartz IV Anspruch.

Familie mit 2 Kindern (mit Nachzahlung Heizkosten)

Berechnungsbeispiel Hartz IV Anspruch einer Familie bei Heizkosten Nachzahlung

Ende September erhält die Familie (siehe oben) eine Abrechnung vom Gasversorger mit einer Nachzahlung von 940 Euro für die Heizkosten. Die Zahlung ist im Oktober 2022 fällig. Während das anrechenbare Einkommen weiterhin gleich bleibt mit 2.355 Euro, erhöht sich der Gesamtbedarf der Familie aufgrund der Heizkostennachzahlung auf 3.210 Euro. Der Differenzbetrag in Höhe von 855 Euro zum anrechenbaren Einkommen ist die Höhe des Anspruchs auf Hartz IV Leistungen im Monat Oktober, die vom Jobcenter erbracht werden, wenn der Antrag rechtzeitig abgegeben wird.

Hinweis: Da bei einem Bruttoeinkommen von mehr als 1.200 Euro der Freibetrag konstant bei 300 Euro bleibt, der vom Nettoeinkommen abgezogen wird und ebenfalls bei voll ausgeschöpften Minijob mit 450 Euro zusätzlich 170 Euro beträgt, ist ein Anspruch auf Hartz IV bei dieser Familienkonstellation bis zu einem Nettoeinkommen von Thomas 2.822 Euro möglich, was bei einem Bruttoeinkommen von knapp unter 3.900 Euro (LSt-Klasse 3, 2 Kinderfreibeträge, keine Kirchensteuer) liegt. Fällt die Nachzahlung noch höher aus, kann das Einkommen auch entsprechend höher ausfallen. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass durch die aktuellen Energiepreise nicht nur Geringverdiener Hartz IV in Anspruch nehmen (müssten) sondern – je nach Familienkonstellation – sogar die mittlere Mittelschicht bedürftig werden kann.

Single ohne Kinder (ohne Nachzahlung)

Karin ist Pflegehelferin in Köln. Sie verfügt über ein monatliches Bruttogehalt von 1.950 Euro, wovon netto 1.418 Euro übrig bleiben. Für Miete inkl. Nebenkosten wendet sie monatlich 570 Euro auf, zuzüglich 75 Euro Heizkosten an die Stadtwerke. Ihr monatlicher Gesamtbedarf nach dem SGB II beläuft sich auf 1.094 Euro. Nach Abzug aller Freibeträge verbleiben von ihrem Einkommen 1.118 Euro, wovon sie ihren Gesamtbedarf decken kann, weshalb ohne Nachzahlung kein Hartz IV Anspruch besteht.

Single ohne Kinder (mit Nachzahlung)

Karin erhält von den Stadtwerken eine Heizkostenabrechnung, aus der sich eine Nachzahlung für Gaslieferungen in Höhe von 470 Euro ergibt. In diesem Monat steigt ihr Gesamtbedarf von 1.094 Euro auf 1.564 Euro. Da sich an ihrem Einkommen nichts geändert hat, verfügt sie weiterhin nur über anrechenbare 1.118 Euro, was einen einmaligen Hartz IV Anspruch im Oktober begründet. Den Differenzbetrag von 446 Euro kann Karin vom Jobcenter erhalten, wenn Sie im Oktober einen Antrag auf Hartz IV stellt. Bei dieser Konstellation wäre der Gesamtbedarf Karins erst bei einem Nettoeinkommen von 1.846 Euro gedeckt, was bei einem Bruttoeinkommen von etwa 2.692 Euro liegt.

Bundessozialgericht urteilte zum einmaligen Bedarf

Das Bundessozialgericht hatte unter dem Az: B 14 AS 20/18 R vom 08.05.2019 festgestellt, dass das Jobcenter die Antragsteller nicht darauf verweisen dürfe, dass es sich bei den Heizkosten um einen Bedarf für zwölf Monate handle und somit auch die Kosten hierfür angespart werden müssen.

Hierzu schreibt das Bundessozialgericht in seiner Urteilsbegründung:

Aufwendungen für eine jährliche Heizmaterialbevorratung sind im Fälligkeitsmonat auch dann in tatsächlicher Höhe als Bedarf für Heizung anzuerkennen, wenn nicht zu erwarten ist, dass über den gesamten Zeitraum existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II bezogen werden.

und

Auch einmalige unterkunftsbezogene Aufwendungen sind von § 22 Abs 1 SGB II erfasst und als tatsächlicher Bedarf im Monat ihrer Fälligkeit anzuerkennen, nicht aber auf längere Zeiträume zu verteilen.

Im verhandelten Fall ging es um die Heizmaterialbevorratung mit Kohle und Heizöl im Monat September, womit auch andere Brennstoffe, die zum Betrieb von Heizungsanlage benötigt werden inbegriffen sein sollten, darunter auch Holz, Holzpellets, Flüssiggas etc.

Monatliche Abschläge gering halten

Zwar wird von Verbraucherzentralen geraten, sich bei hohen Nachzahlungen mit dem Versorger auf eine Ratenzahlung zu einigen, jedoch geht dann der Anspruch auf die Hilfe vom Jobcenter verloren, weil möglicherweise der monatliche Bedarf bei kleineren Raten auch durch Einkommen gedeckt werden kann.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, die Raten für Heizkosten monatlich so gering wie möglich zu halten, damit – falls eine hohe Nachzahlung kommt – Hilfe vom Jobcenter in Anspruch genommen werden kann. In der Regel werden aber Vermieter oder Versorger die letzte Nachzahlung auf zwölf Monate umlegen wollen. Hier ist also ein wenig Verhandlungsgeschick gefordert, damit man dem nicht zustimmen muss.

Hartz IV Antrag muss gestellt werden

Wie bereits oben beschrieben, muss im Fälligkeitsmonat der Zahlung ein Hartz IV Antrag gestellt werden. Zwar handelt es sich aufgrund der Übergangsregelung aus § 67 SGB II um ein vereinfachtes Verfahren, dennoch um einen vollwertigen Antrag beim Jobcenter – praktisch wie Hartz IV Aufstocker. Es müssen also alle Einkommensnachweise erbracht werden, was viele als „nackig machen“ ansehen können. Hier muss man sich also in jedem Einzelfall überlegen, ob man die Hilfe des Jobcenters in Anspruch nehmen möchte oder nicht. Dass man einen Anspruch hat, heißt nicht, dass man ihn auch um jeden Preis durchsetzen muss – es kommt auf die Verhältnismäßigkeit und Aufwand an.

Übergangsregelung läuft zum 31.12.2022 aus

Die Übergangsregelung zum vereinfachten Zugang zur Grundsicherung läuft zum 31.12.2022 aus. Allerdings ist nach aktuellen Angaben vorgesehen, dass beim Bürgergeld, welches zum 01.01.2023 eingeführt werden soll, ebenfalls eine neue Übergangzeit eingeräumt wird, in der nicht auf die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Vermögen geschaut wird, sofern es unerheblich ist. Beim Bürgergeld soll sich diese Frist auf zwei Jahre ab der erstmaligen Antragstellung belaufen.

Bild: Yevhen Prozhyrko/ shutterstock.com