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Hartz IV Reform: Sind Jobcenter für ein Bürgergeld bereit?

Beamter von Akten umgeben

Der Ruf ist ruiniert. Jobcenter haben einerseits ein enormes Imageproblem. Andererseits hagelt es regelmäßig schlechte Bewertungen und Kritik von der internen Revision der Bundesagentur für Arbeit (BA). Da drängt sich mit Blick auf die Hartz IV Reform hin zum neuen Bürgergeld die Frage auf: Sind die Behörden für diese Mammutaufgabe überhaupt gerüstet? Denn es sind nicht nur rein „technische“ Änderungen und neue Begriffe. Vor allem die Zusammenarbeit mit Betroffenen soll eine neue Basis erhalten. Und das braucht Zeit, die man nicht mehr hat.

Bürgergeld soll Respekt und Vertrauen schaffen

Mit dem Bürgergeld plant die Ampelkoalition einen kompletten Neuanfang. Die bisherigen Informationen und der Referentenentwurf zum Bürgergeldgesetz vom 21. Juli 2022 deuten auf breiter Ebene jedoch eher leichte kosmetische Eingriffe an. Entscheidende Einschnitte wird es vornehmlich beim persönlichen Kontakt mit Hartz IV Bedürftigen geben. Auf der ersten Seite des Entwurfs heißt es:

„So sollen Respekt, Vertrauen und Umgang auf Augenhöhe gesetzlich stärker in den Fokus gerückt und eine neue Vertrauenskultur ermöglicht werden.“

Die Linke zum Bürgergeld: Hartz IV Bedürftige werden veräppelt

Arbeit auf Augenhöhe

Der Begriff „Augenhöhe“ taucht in dem 125-seitigen Papier insgesamt neunmal auf. Der Hinweis auf eine „Vertrauensvolle Zusammenarbeit“ wiederholt sich fünfmal, ebenso das Wort „Respekt“. Aktuell sind das aber nur leere Worthülsen. Denn sie werden nicht mit klaren Informationen unterfüttert.

Qualifikation statt Vermittlung

Interessant: Der Jobcenter-Personalrat Moritz Duncker hat den Begriff längst verinnerlicht. In einem Interview mit der „taz“ spricht er von „Arbeit auf Augenhöhe“, weil „es zwangsläufig nicht anders gehen“ werde. Künftig rückten die Qualifikation, die Interessen und auch die Wünsche Hartz IV bzw. Bürgergeld-Bedürftiger vermehrt in den Fokus und nicht mehr die Vermittlung in Arbeit, „koste es, was es wolle“.

Schlechte Erfahrungen mit dem Jobcenter

Diesen ständigen Verweis auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe könnte man auch als klaren Hinweis auslegen. Darauf, dass die Fachkräfte in den Jobcentern aktuell eben nicht auf Augenhöhe mit den Hartz IV Bedürftigen zusammenarbeiten, sondern von oben herab.

Kritik am Amt: #IchBinArmutsbetroffen

Das würde die vielen schlechten Erfahrungen mit Jobcenter-Mitarbeitern erklären, die auf Twitter unter dem Hashtag #IchbinArmutsbetroffen geteilt werden. Oder die teils hanebüchenen Entscheidungen einiger Jobcenter, mit denen sich der Verein Sanktionsfrei herumschlagen muss.

Schlechtes Zeugnis von der internen Revision

Da es sich bei den Schicksalen und Ärgernissen, die auf Twitter, Facebook und Co. rund um Hartz IV veröffentlicht werden, um Einzelfälle handelt, lassen sie sich schwer auf alle Jobcenter übertragen. Bezieht man allerdings die Berichte der internen Revision der BA mit ein, erhält man ein recht umfassendes, nur leider kein besonders schönes Bild von den Jobcentern.

Probleme beim Erstkontakt

Der jüngste Bericht der internen Revision der BA wurde am 2. August 2022 online gestellt. Thema: Erstgespräche. Die Besonderheit daran: Es geht um die Anfangszeit der Corona-Pandemie. Die Ergebnisse sind eher durchwachsen und weisen einige schwerwiegende Mängel bei den Jobcentern auf.

Kein Gespräch in 20 Prozent der Fälle

Geprüft wurden 156 Fälle. Ein Erstgespräch wurde nur in 80 Prozent der Fälle geführt. Kontaktversuche gab es bei 90 Prozent der Betroffenen. Das Urteil: „Nicht immer waren diese Erstgespräche jedoch zeitnah und qualifiziert.“ Das gilt auch für die Folgegespräche, sofern sie überhaupt stattgefunden haben.

Lange Wartezeiten

Besonders ärgerlich: Obwohl es kein Gespräch gab, wurden bei 22 der 32 Kundinnen und Kunden trotzdem Beratungsvermerke hinterlegt. Auch die Wartezeit auf das Erstgespräch dauert im Schnitt 28 Tage, teils bis zu 194 Tage. Wenn miteinander gesprochen wurde, gelang es in 17 der 124 dokumentierten Fälle „nicht, ein qualifiziertes Erstgespräch zu führen“.

Dabei betont die interne Revision:

„Das Beratungsgespräch bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Integrationsarbeit.“

Versprochen war schnelle Hilfe

Berücksichtigt werden muss hierbei, dass im Rahmen der Corona-Pandemie schnelle Hilfe versprochen wurde. Die Jobcenter mussten sich zunächst weder um die Vermögensprüfung kümmern, noch um die Angemessenheit der Wohnung. Diese Arbeitserleichterung wird mit dem Bürgergeld fortgeführt.

Mangel an vertrauensvoller Zusammenarbeit

Trotzdem hat man es nicht geschafft, Menschen in Not zügig und entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu helfen. Genau das wäre aber für eine vertrauensvolle Arbeit auf Augenhöhe nötig – und war von der Politik so kommuniziert worden. Wie das soll das demnächst mit dem Bürgergeld funktionieren, wenn es jetzt schon am „Einstieg“ hapert?

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Politik lässt Jobcenter-Mitarbeiter im Stich

Sicherlich bemühen sich heute schon viele Jobcenter-Mitarbeiter um eine faire und respektvolle Zusammenarbeit. Alle über einen Kamm zu scheren und schlecht zu reden, wäre nicht fair und ist auch nicht Sinn der Sache. Es sind vor allem Fehler der Politik, die in den Amtsstuben ausgebadet werden müssen – von beiden Seiten, Hartz IV Bedürftigen und Sachbearbeitern.

Erfahrungen aus der Praxis

Auf dem Portal der „Servicestelle SGB II“ schmiert Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Beschäftigten der Jobcenter zwar Honig ums Maul:

„Ohne Sie und Ihre wertvollen Erfahrungen aus der Praxis wird diese Reform nicht gelingen.“

Noch keine Informationen zum Bürgergeld

Informationen dazu, was die Beschäftigten mit dem Bürgergeld erwartet, bleibt er indes schuldig. Bei den Fragen rund ums Bürgergeld werden die groben Eckpunkte aufgelistet. Die Frage,

„Wann werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die kommenden Veränderungen informiert werden?“,

beantwortet man aber schlicht mit „Der Gesetzentwurf wird erarbeitet.“

Hinweis der Redaktion: Diese Verfahrensweise deckt sich auch mit unseren Erfahrungen und Gesprächen mit Jobcenter-Mitarbeitern. Das jüngste Bespiel ist der 200 Euro Sofortzuschlag für Hartz IV Bedürftige. Hier kam es Ende Juni Anfang Juli zu Missverständnissen bezüglich der Auszahlung. Während die BA Termine zur Auszahlung bereits veröffentlichte (mehr oder weniger einfach zugänglich, wir haben berichtet), wurden die Jobcenter im Regen stehen gelassen, und konnten auf Kundenanfragen keine Antworten bieten.

Die Zeit rennt

Es sind nur noch viereinhalb Monate, bis das Bürgergeld eingeführt werden soll. Den Termin haben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Hubertus Heil inzwischen mehrfach in Stein gemeißelt.

Das ist sehr wenig Zeit für die Beschäftigten der Jobcenter, sich mit den Neuerungen vertraut zu machen – zumal bis jetzt alles noch in der Schwebe und nichts rechtskräftig ist. Vor allem aber gibt es keinerlei Hinweis darauf, ob und wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die vertrauensvolle Zusammenarbeit geschult werden sollen.

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Es geht auch um psychologische Grundkenntnisse

Nur die Software zu beherrschen und die Grundlagen zu kennen, reicht nicht für „Augenhöhe“. Dafür sind auch psychologische Grundkenntnisse nötig, die nur leider nicht oder nicht ausreichend vermittelt werden. Wie soll man sich sonst auf Menschen in einer Notlage oder mit psychischen Problemen einstellen können? Indem man ihnen Paragrafen um die Ohren haut? Gewiss nicht.

Bild: Stokkete/ shutterstock.com

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