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200 Euro Hartz IV Sofortzuschlag schon vor Auszahlung verpufft

200 Euro Hartz IV Bonus verpufft

Wo ist das Geld geblieben? Die Frage drängt sich beim Blick ins Portemonnaie regelrecht auf. Über die Antwort muss man nicht lange nachdenken: Die Inflation frisst sich gnadenlos durch Euro und Cent. Das bekommt jeder zu spüren. Deshalb hat die Politik Entlastungspakete geschnürt, etwa den 200 Euro Hartz IV Sofortzuschlag. Nur leider verpufft das Geld direkt wieder. Sinnvoller wäre es gewesen, schneller auf die Inflation zu reagieren – so, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert.

200 Euro als Einmalzahlung

200 Euro Bonus für Hartz IV Bedürftige klingen nach einer stattlichen Summe, mit der man längere Zeit über die Runden kommt. Das hat sich wohl auch die Bundesregierung gedacht. Denn die Zahl muss oder sollte zumindest auf einer Bedarfsberechnung beruhen. Schade nur, dass die Rechnung nicht aufgeht.

Hinweis der Redaktion vom 10.08.2022: Nachdem wir zuerst über das Verpuffen des Sofortzuschlags berichtet haben, springen nun andere Qualitäts-Medien auf diesen Zug auf und berichten ebenfalls über das inflationäre Auffressen des Sofortzuschlags über 200 Euro für Hartz IV Bedürftige. Leider bekommen wir viele Anfragen per Email und Social-Media, ob unserer Redaktion nicht in der Lage ist, korrekt zu rechnen, da die anderen Medien übereinstimmend andere Zahlen für die Inflation haben. Der Grund ist aber, dass die anderen Medien die durchschnittliche Inflation des Statistischen Bundesamtes je Monat plump mit dem Regelsatz multipliziert haben, weshalb abweichende Beträge zu den unseren genannt werden. Unsere errechnete Inflationsrate dagegen besteht aus über zehn einzelnen Berechnungen je Monat – da der Hartz IV Regelsatz auch aus mehreren Sparten besteht. In der allgemeinen Inflationsrate sind im Warenkorb Gruppen enthalten, die im Hartz IV Regelsatz nicht vorgesehen sind, bspw. Treibstoffe, andere PKW Kosten, Reisen, Wohn- und Heizkosten etc. – weshalb wir diese aus unserer Berechnung herausgenommen haben, um das Ergebnis nicht zu verfälschen. Dies erfordert eine tiefergehende Recherche, ist aber schlussendlich realistischer.

Die Inflation frisst sich durchs Portemonnaie

Berücksichtigt man die spezifischen Inflationswerte des Statistischen Bundesamtes und setzt sie in Relation zu den Regelbedarfen für Lebensmittel, Strom und Co., ist der 200 Euro Hartz IV Sofortzuschlag längst aufgebraucht. Bereinigt um den Vorteil, den das 9-Euro-Ticket bietet, wäre das Geld spätestens im September weg.

Schon im Januar fehlten 20,91 Euro

Bereits im Januar kostete die Inflation einen alleinstehenden Hartz IV Bedürftigen umgerechnet 20,91 Euro Kaufkraftverlust, wobei Nahrungsmittel mit 7,79 Euro und Strom mit 4,04 Euro den Löwenanteil ausmachten, ebenso der Verkehr mit 4,27 Euro. Dieser Betrag hat sich fortan Monat für Monat gesteigert.

Lücke wächst stetig

Führen wir die Inflation aus unserem Beispiel fort, ergibt sich folgender Kaufkraftverlust:

  • Februar: 21,90 Euro
  • März: 29,03 Euro
  • April: 34,07 Euro
  • Mai: 38,73 Euro
  • Juni: 38,98 Euro
  • Juli: 38,98 Euro (basierend auf den Hochrechnungen des Statistischen Bundesamtes)

Der Sofortzuschlag ist längst aufgebraucht

Das heißt, ein Hartz IV Bedürftiger musste inflationsbedingt während der ersten sieben Monate rein theoretisch bereits 222,60 Euro mehr ausgeben als der Regelsatz hergibt. Oder anders ausgedrückt: Der Hartz IV Bonus in Höhe von 200 Euro ist längst verpufft.

Kleines Polster durch 9-Euro-Ticket

Zieht man für die Monate Juni und Juli jeweils 31,27 Euro ab, weil das 9-Euro-Ticket eingeführt wurde, ergibt sich ein finanzieller Vorteil. Dadurch sinken die Mehrausgaben auf bislang 160,06 Euro. Allerdings muss man beachten, dass alle Lebensmittel und Energie benötigen, das 9-Euro-Ticket hingegen nicht. Nichtsdestotrotz: Der Bonus reicht nicht, um die Inflation in diesem Jahr auszugleichen.

200 Euro Hartz-IV Bonus deckt Inflation bei Lebensmitteln nicht

Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass es sich bei unseren Berechnungen um theoretische Werte handelt, die individuell ganz unterschiedlich ausfallen können. Gerade im Bereich Lebensmittel liegen die Mehrausgaben in der Realität vermutlich weitaus höher. Um drei Beispiele zu nennen: Bei Geflügelfleisch betrug das Preisplus im Juni dieses Jahres 29,3 Prozent, bei Margarine und anderen Pflanzenfetten 29,9 Prozent und bei Mehl sowie Getreideerzeugnissen sogar 38,7 Prozent (Quelle: Statistisches Bundesamt). Wie sich die Preise bei den Lebensmitteln entwickelt haben, verdeutlicht auch die nachfolgende Grafik:

Die Politik hat nicht reagiert

Besonders ärgerlich: Die Politik wusste, dass eine Teuerungswelle auf uns zukommt. Diesbezüglich sind die Zahlen unmissverständlich. Man hat nur nicht darauf reagiert und sich beim Hartz IV Regelsatz strikt an das bisherige Muster gehalten.

Die Berechnung der Hartz IV Regelsätze

Konkret wurden die Inflationszahlen aus der Zeit von Juli 2020 bis Juni 2021 zur Hartz IV Fortschreibung für das Jahr 2022 herangezogen. Dabei muss man berücksichtigen: Im zweiten Halbjahr 2020 galten noch die reduzierten Mehrwertsteuersätze. Daher stehen von Juli bis Dezember 2020 negative Inflationswerte zu Buche.

Preissteigerungen werden erst 2023 im Hartz IV Regelsatz berücksichtigt

Im Berechnungszeitraum nur 0,8 Prozent Inflation

Ab Januar 2021 stieg die Inflation dann kontinuierlich an, von 1,0 Prozent im Januar 2021 bis auf 2,3 Prozent im Juni 2021. Im Schnitt ergibt sich für den Hartz IV Berechnungszeitraum eine Teuerung von 0,8 Prozent. Das spiegelt sich in der Anpassung der Regelsätze wider.

Ein Single erhält seit Anfang des Jahres 3,00 Euro mehr, statt 446 Euro werden 449 Euro gezahlt. Das entspricht weniger als einem Prozentpunkt und damit ungefähr der Teuerung, die man zugrunde gelegt hat.

Inflation zieht rapide an

Hätte man die Inflation weiter beobachtet, wäre sofort aufgefallen, dass der Zug immer schneller wird. Im Juli 2021 listet das Statistische Bundesamt einen Wert von 3,9 Prozent, im Dezember sind es 5,3 Prozent. Der Durchschnitt für das zweite Halbjahr 2021: 4,5 Prozent – fünfmal höher als in den zwölf Monaten zuvor.

Achtmal höhere Inflation als in Hartz IV eingeplant

So richtig Tempo aufgenommen hat die Inflation ab Januar 2022. Den bisherigen Höhepunkt erreichte die Entwicklung im Mai 2022 mit 7,9 Prozent. Aktuell stehen wir bei 7,5 Prozent. In diesem Jahr ist der Durchschnitt mit 6,8 Prozent also schon achtmal höher als in den zwölf Monaten, die für den Hartz IV Satz relevant waren.

Bürgergeld Gesetz (Entwurf) vorgestellt

Nachdem nun der Gesetzesentwurf zum Bürgergeld vorliegt, wird auch deutlich, dass die Regierung offenbar keine großen Pläne hat, Hartz IV bzw. das Bürgergeld nennenswert zu erhöhen. Im Gesetzesentwurf zum Bürgergeld sind keine Angaben zur Höhe der Leistungen gemacht worden, welche sich im § 20 SGB II ansiedeln würden. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung bzw. die Verantwortlichen im Sozialministerium den weiteren wirtschaftlichen Verlauf in der Republik beobachten und dann kurz vor Inkrafttreten des Bürgergeldes die Höhe der Leistungen bekanntgeben werden. Aktuell stehen – wie vom Bundesarbeitsminister prognostiziert – 40 bis 50 Euro höhere Leistungen als der aktuelle Hartz IV Regelsatz im Raum. Und dies nur durch eine andere Berechnungsmethode, bei der man die Musterhaushalte, die die Grundlage zur Ermittlung abgeben, erweitert. Bereits im vergangenen Jahr, als der Hartz IV Regelsatz mit seiner lächerlichen Erhöhung um drei Euro bekannt gegeben wurde, hatte die Regierung angekündigt, die Inflation erst im Regelsatz ab 01.01.2023 zu berücksichtigen. Dies war wohlgemerkt noch vor dem russischen Krieg auf die Ukraine und der damit verbundenen Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Energiekosten.

Verstoß gegen Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Reagiert wurde nur mit dem Bonus für Hartz IV Bedürftige. Nicht aber, indem man den Regelsatz außerhalb der Frist anpasste. Und genau das wäre, so ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nötig gewesen:

„Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden (oben C II 2 e bb). Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten.“ (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 23. Juli 2014, 1 BvL 10/12).

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Musterklage zweier Sozialverbände

Bereits im zweiten Halbjahr 2021 hat sich abgezeichnet, dass die Teuerung rapide steigt. Passiert ist nichts. Auch in den ersten Monaten dieses Jahres ist die Inflation galoppiert. Passiert ist außer dem Bonus nichts. Da ist es nur konsequent, dass der Sozialverband Deutschland und der Sozialverband VdK Musterklagen eingereicht haben.

Bild: VGV MEDIA/ shutterstock.com