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Hartz IV: BA erlässt Weisung zum 9-Euro-Ticket

Schild mit Aufschrift 9 Euro Ticket bundesweit regional

Die Ersparnis durch das 9-Euro-Ticket sei eine ungerechtfertigte Bereicherung bei Hartz IV Bedürftigen, wenn man den Differenzbetrag nicht zurückfordern würde – so die Aussage eines Ministeriums vor ein paar Wochen. Der Ärger um mögliche Hartz IV Rückforderungen aufgrund des 9-Euro-Tickets ist fast schon vergessen, da meldet sich die Bundesagentur für Arbeit (BA) mit einer Weisung zu Wort – das zweiseitige Papier liegt unserer Redaktion vor.

Darin schafft sie endlich klare Bahnen und folgt dem, was Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) von Anfang an gefordert hatte: Keine Rückzahlung der Differenz von Ticket und regulären Fahrtkosten, und eine Erstattung, sollte das Jobcenter bereits Geld gefordert oder einbehalten haben.

Baden-Württemberg pochte auf Rückforderung

Zur Erinnerung: Weil das 9-Euro-Ticket günstiger ist als reguläre (Schüler-)Fahrkarten, sollten Hartz IV Bedürftige die Differenz zurückzahlen. Alles andere wäre, erklärte das zuständige Ministerium in Baden-Württemberg, eine „ungerechtfertigte Bereicherung“ aufgrund – so das SGB II – rechtswidrig erbrachter Leistungen.

Keine einheitliche Regelung

Die drohende Rückzahlung betraf allerdings nicht alle Hartz IV Haushalte. Jedes Bundesland schätzte die Regeln und gesetzlichen Grundlagen anders ein. Zudem hatten die Jobcenter das letzte Wort. Dadurch entstand ein riesiger Flickenteppich, ohne rechtliche Sicherheit für die Betroffenen.

Machtwort des Ministers

Nachdem insbesondere unser Beitrag „Hartz IV: Droht Rückzahlung wegen des 9-Euro-Tickets?“ bundesweit für Wirbel gesorgt hatte, sprach Bundesarbeitsminister Heil ein Machtwort. Er mahnte die Länder, nicht weiter auf Rückforderungen zu beharren, traf damit aber nicht überall auf offene Ohren.

Beitrag vom 17.06.2022: Arbeitsminister: Keine Hartz IV Rückzahlung wegen 9-Euro-Ticket

Die Weisung durch die BA

Nachdem ein wenig Zeit verstrichen ist, hat es nun auch die Bundesagentur für Arbeit geschafft, sich auf ein einheitliches Vorgehen zu einigen. Dazu wurde eine Weisung an die Jobcenter herausgegeben. Darin heißt es unter Punkt 2.1. klipp und klar:

„Im Zusammenhang mit dem 9-Euro-Ticket ist generell auf Rückforderungen zu verzichten. Bereits bewilligte Förderfälle sind nicht anzupassen. Auch bereits beschiedene Bewilligungen passiver Leistungen nach dem SGB II sind weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft zu Lasten der Leistungsberechtigten aufzuheben, sofern die Änderung der Verhältnisse allein auf der Reduzierung der Fahrkosten durch das 9-Euro-Ticket beruht.“

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Aufatmen für Hartz IV Familien

Damit können Hartz IV Familien jetzt endlich aufatmen. Sie müssen nicht mehr befürchten, dass ihnen Geld abgezogen oder Zahlungen zurückgefordert werden. Der Grund: Die BA wünscht sich ein „einheitliches, ressourcenschonendes Vorgehen“. Ganz ehrlich: Darauf hätte man auch eher kommen können.

Rückforderungen müssen zurückgenommen werden

Erfreulich für alle, denen das Jobcenter wegen des 9-Euro-Tickets bereits ins Portemonnaie gegriffen hat: Die Forderung, die Überzahlung zu erstatten, soll zurückgenommen werden. Gleiches gilt für den Fall, dass Bewilligungen aufgehoben wurden.

„Dies erfolgt von Amts wegen im Rahmen der nächsten Bearbeitung oder wenn die leistungsberechtigte Person eine Korrektur beantragt“,

heißt es in der Weisung.

Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes

Die Grundlage für das Vorgehen bildet § 44 Abs. 1 SGB X:

„Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.“

Grundsätzlich gilt bei einem Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X eine Frist von vier Jahren – nicht jedoch bei Entscheidungen zu Hartz IV Verfahren. Darauf weist die BA in ihrer Weisung auch hin und bezieht sich auf den § 44 Abs. 1 SGB X mit dem Hinweis auf die Frist von einem Jahr nach § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II.

Fahrtkosten und das 9-Euro-Ticket

Sorgen machen mussten sich wegen des 9-Euro-Tickets allerdings nicht nur Familien mit Schülern. Auch jeder, der arbeitet, mit Hartz IV aufstockt und mit dem Pkw zur Arbeit fährt, hatte mit Konsequenzen zu rechnen.

Es zählt das günstigste Verkehrsmittel

Laut Fachlichen Weisungen der BA zur Kfz-Nutzung werden zwar 20 Cent als Kilometerpauschale festgelegt. Gleichzeitig gilt aber, dass diese Pauschale „auf die bei Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels entstehenden Kosten zu begrenzen“ ist. Dank des 9-Euro-Tickets wären das 9 Euro gewesen.

Zur Info: Die öffentlich zugänglichen Fachlichen Weisungen zu §§ 11-11b SGB II befinden sich zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels auf dem Stand vom 07.07.2020. Dort ist das Vorgehen zum 9-Euro-Ticket nicht eingearbeitet.

Nur 2,37 Kilometer Fahrstrecke möglich

Für einen Hartz IV Aufstocker hätte das bedeutet: Bei 19 Arbeitstagen pro Monat, von denen die BA ausgeht, und 9 Euro Pauschale bei 20 Cent je Kilometer hätten Betroffene mit dem Auto maximal 2,37 Kilometer am Tag mit dem eigenen Pkw zurücklegen dürfen. Also eine Strecke, die man auch zu Fuß erledigen kann.

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Ticket wird nicht in die Vergleichsrechnung einbezogen

Auch hierfür hat die BA jetzt eine klare Anweisung formuliert. Das 9-Euro-Ticket soll nicht in die Vergleichsrechnung gemäß den fachlichen Weisungen einbezogen werden. Anderenfalls müssten die Jobcenter jeden Arbeitsweg prüfen und wären Menschen in ländlichen Regionen klar benachteiligt.

Späte Entscheidung

Gut, dass es diese Weisung jetzt gibt. Schade nur, dass man sich nicht sofort Gedanken über die möglichen Probleme gemacht oder zumindest direkt nach deren Bekanntwerden für klare Bahnen gesorgt hat. Das hätte viel Ärger und Betroffenen manche schlaflose Nacht gespart.

Unser Hinweis: Sollte das Jobcenter bereits Geld zurückgefordert oder Leistungen aufgehoben und einbehalten haben, prüfen Sie bitte, ob das Jobcenter im Sinne dieser Weisung handelt. Wenn nicht, dann sollten Sie – sofern ein Bescheid ergangen ist – gegen diesen Widerspruch erheben. Sollte die Widerspruchsfrist von einem Monat bereits abgelaufen sein, hilft ein Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X.

Bild: Westlight/ shutterstock.com