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Wohnkosten bei Hartz IV – Auf Corona-Regel folgt der Hammer

Frau mit Kind beim Auszug aus Wohnung

Raus aus der Wohnung oder selbst zahlen: Diese Alternativen haben Hartz IV Bedürftige, wenn das Jobcenter die Kosten für Unterkunft und Heizung als unangemessen einstuft. Vor diesem Problem stehen inzwischen auch Familien, die in Zeiten von Corona Hartz IV beantragen mussten und zunächst vom Verzicht auf die Angemessenheitsprüfung profitierten. Das bestätigt ein Urteil des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen.

Gesetzliche Sonderregelung

Die Corona-Pandemie hat vielen Menschen den Boden unter den Füßen weggerissen. Ihnen sollte der Zugang zu Hartz IV erleichtert werden. Daher vereinbarte man, im Zeitraum vom 1. März 2020 bis zum 31. März 2022 für sechs Monate darauf zu verzichten, die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu prüfen.

Anm. der Redaktion: Der erleichterte Zugang zu Hartz IV Leistungen gilt nach wie vor. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erklärt dazu:

Aufgrund der anhaltenden Auswirkungen der Pandemie hat das Bundeskabinett diese Erleichterung nun bis zum 31. Dezember 2022 verlängert.“

Pressemitteilung BMAS vom 23.02.2022

Vereinfachtes Verfahren

Das geht aus § 67 SGB II (Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie) hervor, der auch die Vermögensprüfung für sechs Monate aussetzt. Diese Regelung ist allerdings kein Freifahrtschein und bewahrt Hartz IV Bedürftige, die während der Pandemie in die Situation geraten sind, nicht vor einem Kostensenkungsverfahren.

Jobcenter stuft Wohnraum als unangemessen ein

Diese Erfahrung musste eine fünfköpfige Familie machen, die am 22. Dezember 2020 erstmals Hartz IV beantragte. Die Leistungen wurden vorläufig für die Zeiträume vom 1. Dezember 2020 bis zum 31. Mai 2021 und vom 1. Juni 2021 bis zum 30. November 2021 bewilligt. Das galt auch für die Unterkunfts- und Heizungskosten für ein Haus in Höhe von 1.353 Euro pro Monat (940 Euro Kaltmiete, 60 Euro Stellplatz, 140 Euro Betriebskostenvorauszahlungen, 120 Euro Heizkostenvorauszahlungen und 93 Euro für Wasser.

Kostensenkungsverfahren eingeleitet

Am 24. Juni 2021 teilte das Jobcenter der Familie schließlich mit, dass die Kosten für das Haus unangemessen seien, und forderte zur Kostensenkung auf. Als Gesamtangemessenheitsgrenze wurde für die zwei Erwachsenen und drei minderjährige Kinder ein Betrag von 984,64 Euro festgelegt.

Regelbedarf gekürzt

Dem Weiterbewilligungsantrag gab das Jobcenter nicht statt. Ab dem 1. Januar 2022 wurden nur noch 984,64 Euro bewilligt. Der Vermieter erhielt vom Amt nach wie vor 1.353 Euro. In der Konsequenz wurden den Bedürftigen der Hartz IV Regelsatz entsprechend gekürzt ausgezahlt.

Energieschulden nicht übernommen

Auch der Antrag, nach einer Stromsperre die Energieschulden darlehensweise zu übernehmen, kam das Jobcenter nicht nach. Daraufhin zog die Familie Gericht und bekam vom Sozialgericht Detmold recht. Das Jobcenter musste ein Darlehen für die Stromschulden gewähren und die tatsächlichen Kosten für die Unterkunft tragen.

Urteil des LSG NRW

Gegen den Beschluss des Sozialgerichts hat das Jobcenter Beschwerde eingelegt, dem das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen stattgab. Die Richter machten unmissverständlich deutlich, dass die Angemessenheitsprüfung vom Gesetzgeber nur für sechs Monate ausgesetzt wurde.

Nach der Ausnahme gilt die reguläre Frist

Im Anschluss greife wieder die reguläre Frist, die sich aus § 22 Absatz 1 SGB II ergibt. Demnach gilt:

„Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.“

Das heißt konkret: Die Corona-Sonderregelung verschafft eine Schonfrist von sechs Monaten plus sechs Monate, die man regulär Zeit hat, eine günstigere Wohnung zu finden und die Kosten zu senken.

Keine Verlängerung der Angemessenheitsfiktion

Auch wenn § 67 mehrfach verlängert worden sei, ergebe sich daraus keine Verlängerung der Angemessenheitsfiktion. Das Landessozialgericht erklärte:

„Für einen weiteren Leistungsbezug ist eine Berufung auf die vereinfachten Regelungen mithin ausgeschlossen und eine Kostensenkung nach den allgemeinen Regelungen vorzunehmen.“

Kein kurzfristiger Verlust

Ziel der Sonderregelung sei gewesen, dass sich Menschen nicht kurzfristig auch noch um den Verlust der Wohnung oder des Hauses sorgen müssten. Im vorliegenden Fall gelte:

„Von einem kurzfristigen Verlust dürfte jedoch nach über einem Jahr im SGB II-Leistungsbezug nicht mehr ausgegangen werden.“

Verfahrensgang:

LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.05.2022 – L 2 AS 468/22 B ER
Sozialgericht Detmold, Beschluss vom 11.03.2022 – S 8 AS 174/22 ER

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