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Bürgergeld statt Hartz IV – 15 Änderungen aus dem Koalitionsvertrag im Überblick

Ampel mit Bundesadler und Geldscheinen

Das Ende von Hartz IV ist scheinbar besiegelt. In den Verhandlungen einigten sich die Parteien der möglichen Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP nach Wochen der Verhandlungen auf einen Koalitionsvertrag (der noch von den Parteispitzen abgesegnet werden muss ) – dieser sieht vor, dass die bisherige Grundsicherung durch das neue Bürgergeld ersetzt wird und ebenfalls eine Kindergrundsicherung eingeführt wird.

Bürgergeld im Koalitionsvertrag vereinbart

Bereits zu Beginn der Verhandlungen über eine mögliche Ampel-Koalition haben die Parteien im Sondierungspapier festgehalten, dass anstatt der Grundsicherung Arbeitslosengeld II (Hartz IV) ein neues Bürgergeld eingeführt werden soll. Die Skepsis war groß, dass sich außer des Namens nicht viel ändert – und genau diese Skepsis wird auch mit einem Blick in den am Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag – der uns in der Redaktion vorliegt – bestätigt.

Hierzu heißt es Eingangs zum Bürgergeld im Koalitionsvertrag:

Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen. Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein.

Entwurf Koalitionsvertrag vom 24.11.2021

Grundsätzlich sieht der Vertrag keine großen Überraschungen in positiver Hinsicht vor, da im Prinzip Hartz IV unter neuer Flagge fortgeführt werden soll. Größere Änderungen sind nur mit einer neuen Kindergrundsicherung geplant. Insgesamt haben wir uns 15 mögliche Änderungen angeschaut, die das neue Bürgergeld mit sich bringen könnte.

Kindergrundsicherung

Leistungen für (minderjährige) Kinder, darunter Kindergeld, Kinderzuschlag, Bildungs- und Teilhabepaket sowie Hartz IV / Sozialgeld Leistungen für Kinder sollen künftig unter einer Kindergrundsicherung zusammengefasst, vereinfacht und automatisiert werden.

Bis zur tatsächlichen Einführung der Kindergrundsicherung sollen arme Kinder, die im Bezug von Hartz IV/ Sozialgeld oder Kinderzuschlag stehen, mit einem Sofortzuschlag finanziell entlastet werden – zur Höhe dieses Sofortzuschlags finden sich jedoch keine Angaben im Vertrag.

Alleinerziehende Elternteile, die heute am stärksten von Armut betroffen sind, will man bei der Einkommensteuererklärung mit einer Steuergutschrift entlasten. Die Höhe ist im Koalitionsvertrag nicht definiert.

Erhöhung der Grundsicherung bleibt aus

Vorweg, eine Erhöhung der Hartz IV (oder Bürgergeld) Leistungen bleibt zunächst aus. Noch im Wahlkampf nannte Sven Lehmann, sozialpolitischer Sprecher der Grünen, eine Anhebung der Regelsätze um mindestens 50 Euro eine „Mindestbedingung für jede Koalition“. Nach der Wahl ist aus dieser „Mindestbedingung“ nicht einmal ein Kompromiss geworden, denn die Leistungen erhöhen sich nur wie geplant um lediglich 3 Euro monatlich für einen alleinstehenden Erwachsenen, trotz aktueller Inflation jenseits der vier Prozent.

Aus der vollmundig formulierten Mindestbedingung der Anhebung der Regelsätze um mindestens 50 Euro des Grünen Politikers ist ein nichtssagendes

Wir werden die turnusgemäße Neuberechnung in dieser Legislaturperiode nutzen, um eine Erhöhung und damit bessere Teilhabe durchzusetzen

geworden. Nicht gerade ein idealer Start der neuen Koalition in Punkto Glaubwürdigkeit.

Änderungen beim Bürgergeld

Vermögensanrechnung

In den ersten beiden Jahren wird das Bürgergeld ohne Anrechnung des Vermögens gewährt und darüber hinaus soll das Schonvermögen erhöht werden.

Wohnkosten

Die Wohnkosten sollen in den ersten beiden Jahren als angemessen anerkannt werden. Zudem sollen die Angemessenheitsgrenzen der Wohnkosten jährlich auf die aktuelle Marktlage hin überprüft werden.

Eingliederungsvereinbarung wird Teilhabevereinbarung

Die Eingliederungsvereinbarung soll künftig Teilhabevereinbarung und die Gültigkeitsdauer dieser „Vertrauenszeit“ heißen. Dabei soll sich die Vertrauenszeit der Teilhabevereinbarung auf sechs Monate erstrecken.

Sanktionen bleiben, werden aber ausgesetzt

An den Mitwirkungspflichten will man weiter festhalten, was bedeutet, dass auch Sanktionen nicht vom Tisch sind – diese sind ja bei Hartz IV regelmäßig ein kontrovers diskutiertes Thema, da sie das grundrechtliche Existenzminimum kürzen. Spätestens bis Ende 2022 möchte man die Sanktionen neu regeln und die Leistungskürzungen bis zur gesetzlichen Neuregelung aussetzen. Hierzu heißt es im Koalitionsvertrag:

Bis zur gesetzlichen Neuregelung schaffen wir ein einjähriges Moratorium für die bisherigen Sanktionen unter das Existenzminimum, das auch für kommunale Jobcenter gelten muss

Die Neuregelung stützt sich dabei auf ein Urteil des Bundeverfassungsgerichts, wonach Unter-25-Jährige nicht benachteiligt werden dürfen und ebenso die Kosten der Unterkunft und Heizung von den Leistungskürzungen ausgenommen werden müssen.

Vermittlungsvorrang wird abgeschafft

Der Vermittlungsvorrang im SGB II wird abgeschafft. Damit sollen Leistungsbezieher eine bessere Förderung der Weiterbildung und Qualifizierung erhalten, anstatt in jede halbwegs mögliche Beschäftigung oder Ausbildung gezwängt zu werden.

Bonus für Teilnahme an Eingliederung

In der Teilhabevereinbarung kann vereinbart werden, dass Bürgergeldberechtigte, die an einer der Eingliederung dienenden Maßnahme teilnehmen, ein befristeter Bonus gezahlt wird.

Höherer Zuverdienst

Mit dem neuen Bürgergeld sollen die Zuverdienstmöglichkeiten verbessert werden, um so Anreize für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen zu erhöhen. Gleichzeitig soll der Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde angehoben werden (aktuell 9,60 Euro). Dies dürfte auch dazu führen, dass weniger Menschen als Aufstocker auf ergänzende Leistungen zum Lohn angewiesen sein werden. Die aktuelle Regelung finden Sie unter Hinzuverdienst zu Hartz IV.

Umstellung von horizontaler auf vertikale Einkommensanrechnung

Aktuell wird bei Hartz IV der Hinzuverdienst als Gesamteinkommen in der gesamten Bedarfsgemeinschaft verteilt, unabhängig davon, wer das Einkommen erzielt (sog. horizontale Einkommensanrechnung). Beim neuen Bürgergeld soll stattdessen auf die vertikale Einkommensanrechnung umgestellt werden, wonach das Einkommen zunächst bei der Person in der Bedarfsgemeinschaft berücksichtigt wird, die es auch erzielt. Nur das den Bedarf übersteigende Einkommen wird dann auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgeteilt.

Anrechnung von Einkommen aus Schüler- und Studentenjobs

Die Anrechnung von Schüler- und Studentenjobs auf die Leistungen der gesamten Bedarfsgemeinschaft soll beim Bürgergeld entfallen. Darüber hinaus soll der Einkommensfreibetrag bei Auszubildenden erhöht werden.

Betreuung von Leistungsbeziehern soll verbessert werden

Mit der Einführung des Bürgergeldes soll laut Koalitionsvertrag auch die Betreuung von Leistungsempfängern verbessert werden. Dabei soll in den Jobcentern gut qualifiziertes Personal eingesetzt werden sowie der Betreuungsschlüssel ausreichend dimensioniert werden, was bedeutet, dass ein Jobcenter-Sachbearbeiter für weniger Leistungsempfänger zuständig ist. Gleichzeitig wird geprüft, ob man nicht sozialversicherungspflichtig Erwerbstätige nicht mehr bei den Jobcentern sondern in den Agenturen für Arbeit betreut, was den Betreuungsschlüssel in den Jobcentern entlasten würde.

Einführung Bagatellgrenze in Höhe von 50 Euro

Mit der Einführung einer Bagatellgrenze von 50 Euro, bspw. für Aufhebungs- und Erstattungsbescheide, will man die Jobcenter von Bürokratie entlasten.

Vage Formulierungen und Zukunftsmusik

Insgesamt dürften sich Hartz IV Betroffene mehr von einem neuen Bürgergeld erhofft haben. Alleine die beiden Punkte der Erhöhung der Leistung sowie komplette Streichung der Sanktionen werden nicht erfüllt. Höhere Leistungen – über der bisher geplanten Erhöhung – gibt es nicht. Auch werden die Sanktionen vorerst nur ausgesetzt und nicht vollständig gestrichen.

Änderungen bei der Anrechnung des Vermögens sowie des Einkommens klingen zunächst gut, sofern sie auch umgesetzt werden. Dies betrifft allerdings nur Menschen im Leistungsbezug, die auch über Einkommen oder Vermögen verfügen. Menschen ohne Zuverdienst oder vorhandenes Vermögen profitieren nicht von solchen Änderungen.

Insgesamt bleibt abzuwarten, wie sich die neue Regierung schlägt und welche Maßnahmen ergriffen werden, um alle Leistungsbedürftige von neuen Regelungen profitieren zu lassen.

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