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Jobcenter streicht kranker Frau die Hartz IV Leistungen

Weil eine schwerkranke Frau zwei Termine zur medizinischen Begutachtung nicht wahrgenommen hatte, strich das zuständige Jobcenter ihr alle SGB II Leistungen. Daraufhin klagte die Betroffene und bekam vom Landessozialgericht München Recht. Die Behörde hatte zwar auf die Pflichten zur Mitwirkung hingewiesen, die möglichen Folgen einer Missachtung aber nicht konkret genug aufgezeigt.

Laut Gutachten arbeitsunfähig

Der Fall: Bereits Ende 2011 hatte ein Amtsarzt der Frau bescheinigt, dass sie „weniger als drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig sei“.

Dieser Umstand wurde im Juli 2015 erneut in einem amtsärztlichen Gutachten bestätigt. Allerdings empfahl der zuständige Arzt, das Leistungsbild alle zwei Jahre zu überprüfen.

Termine nicht wahrgenommen

Um den aktuellen Ist-Zustand zu ermitteln, sollte die Hartz IV Bedürftige am 12. Dezember 2018 beim amtsärztlichen Dienst vorstellig werden. Da sie nicht erschien, folgte mit dem 21. Januar 2019 ein zweiter Termin. Im Schreiben dazu erklärte das Jobcenter:

„Wenn sie ohne wichtigen Grund dieser Einladung zur ärztlichen Untersuchung nicht Folge leisten, können die Leistungen ganz entzogen oder versagt werden, da ihre Erwerbsfähigkeit und damit die Anspruchsvoraussetzungen nicht geklärt werden können.“

Auch diesen Termin ließ die Frau verstreichen.

100-prozentige Sanktionierung

Das Ergebnis: Das Jobcenter entzog der Frau die Hartz IV Leistungen gemäß der §§ 62 und 66 SGB I. Die Behörde verwies darauf, dass der Anspruch nicht geprüft werden könne und sich die Frau bislang auch nicht dazu geäußert habe, weshalb sie nicht zu den Terminen erschienen sei.

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Einspruch abgelehnt

Die Hartz IV Bedürftige legte Widerspruch ein, weil sie nicht reisefähig sei. Zudem hätte ein Gutachten nach Aktenlage geprüft werden müssen. Den Widerspruch lehnte das Jobcenter ab.

Daher ging der Fall vor das Sozialgericht Regensburg. Dort bestätigte man, dass die Sanktionen rechtens seien, da man die Frau konkret und unmissverständlich auf die Folgen einer fehlenden Mitwirkung hingewiesen habe. Gegen dieses Urteil legte die Frau Widerspruch ein.

Rechte der Hartz IV Bedürftigen verletzt

Das Landessozialgericht München bewertete den Bescheid des Jobcenters schließlich als rechtswidrig.

Die Anfechtungsklage sei begründet, „da der Beklagte vor der Entscheidung zur Entziehung der Leistungen die Klägerin nicht ausreichend konkret […] auf die mögliche Rechtsfolge einer Mitwirkungsverweigerung schriftlich hingewiesen hat“.

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Ermessensentscheidung nicht ordnungsgemäß

Dem Jobcenter wurde außerdem vorgeworfen, keine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung getroffen zu haben. Es seien nicht alle Ermessensgesichtspunkte berücksichtigt worden.

Da nicht über den Umfang der Entziehung des Regelbedarf informiert worden sei, liege ein Ermessensnichtgebrauch vor. Denn:

„Der Beklagte [das Jobcenter] hätte berücksichtigen müssen, dass auch bei fehlender Erwerbsfähigkeit der Klägerin diese einen Leistungsanspruch auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII in vergleichbarer Höhe hätte.“

Kurzum: Das Jobcenter hat es unterlassen, den vorliegenden Einzelfall ausreichend zu berücksichtigen. Stattdessen hätte man, so die Richter, die Bedeutung der existenzsichernden Leistungen für den Lebensunterhalt der Frau in die Entscheidung mit einfließen lassen müssen. Das sei schlichtweg unterblieben.

Landessozialgericht München, Urteil vom 6. Mai 2021, Aktenzeichen: L 16 AS 652/20.

Vorinstanz: SG Regensburg, Urteil vom 10.09.2020, Aktenzeichen S 11 AS 280/19.

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