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BSG Urteil: Jobcenter darf Hartz IV Bedürftigen nicht zum Dispokredit zwingen

Glückliches Paar freut sich über Steuerrückzahlung

Das Jobcenter darf Hartz IV Empfänger nicht auf einen Dispositionskredit verweisen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. So entschied das Bundessozialgericht im Falle eines Mannes aus Nordrhein-Westfalen.

Einem Urteil des Bundessozialgerichts zufolge, können Dispositionskredite bei Hartz IV nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts herangezogen werden (Urteil v. 24.06.2020, Az.: B 4 AS 9/20 R). Dem Urteil lag dabei die Klage eines alleinerziehenden Vaters zugrunde.

Steuererstattung wird als Einkommen angerechnet

Der Mann lebte mit seinen 3 gemeinsamen Kindern zusammen in einer Wohnung im Raum Gelsenkirchen. Als der Mann 2016 die Bewilligung von Hartz IV Leistungen beantragte, rechnete das Jobcenter eine Steuererstattung in Höhe von 2.382,92 Euro zu jeweils 367,15 Euro monatlich (397,15 Euro abzgl. 30 Euro) auf 6 Monate verteilt als Einkommen auf die SGB II Leistungen an.

Die einmalige Steuererstattung stand dem Mann jedoch nie zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung, sondern wurde bei der Überweisung dafür verwendet, dessen Schulden infolge eines Dispokredites teilweise auszugleichen. Der Leistungsbezieher empfand die Kürzung seines Hartz IV Anspruchs insofern als ungerechtfertigt und zog vor Gericht.

Dazu: Steuererstattung wird auf Bürgergeld angerechnet

LSG: Dispokredit stellt keine „bereiten Mittel“ dar

In erster Instanz konnte vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen eine teilweise Einigung zwischen Kläger und Beklagten erreicht werden. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschied jedoch in zweiter Instanz, dass dem Kläger deutlich höhere als die letztendlich festgesetzten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustünden. Das Argument des Jobcenters, der Kläger hätte den Rahmen seines Dispokredits weiter ausnutzen können, um seinen Bedarf zu decken, sei hinfällig:

Ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter könne nicht auf die Inanspruchnahme eines Dispositionskredits mit erhöhter Zinsbelastung aufgrund einer fortbestehenden Kontokorrentabrede zur Bestreitung seines Lebensunterhalts als „bereites Mittel“ verwiesen werden, wenn er zuvor zugeflossenes Einkommen zur Rückführung des Solls auf diesem Konto verwandt habe„, heißt es dazu im Urteil.

BSG spricht Recht

Dieser Argumentation folgte auch das Bundessozialgericht als letzte Instanz in seinem Urteil und wies damit die Revision des Jobcenters zurück. Grundsätzlich stelle eine Steuererstattung zwar auf Hartz IV Leistungen anzurechnendes Einkommen gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II dar, allerdings stand die Rückzahlung dem Mann nie als „bereites Mittel“ zur Verfügung – die Rückzahlung glich nach der Überweisung automatisch den Dispokredit aus und konnte so nie verwendet, um seinen Bedarf zu decken:

Es fehlte an einer tatsächlichen Verfügbarkeit des Wertzuwachses, weil der Kläger nicht mehr auf den im März 2016 seinem Konto gutgeschriebenen Betrag in Höhe von 2.382,92 Euro im Sinne eines tatsächlich vorhandenen „aktiven Guthabens“ zurückgreifen konnte

erklärte das BSG.

Trotz der Annahme des Jobcenters die „Inanspruchnahme eines Dispositionskredits für die tägliche Lebensführung sei lebensnah und treffe auf eine Vielzahl von Menschen zu„, oblag es dem Leistungsempfänger nicht neue Schulden zu machen, um seinen Bedarf zu decken. Das Jobcenter dürfe die Steuererstattung in diesem Fall also nicht als Einkommen anrechnen.

Verfahrensgang:

BSG, 24.06.2020, Az.: B 4 AS 9/20 R
LSG Nordrhein-Westfalen, 12.09.2019, Az.: L 19 AS 1034/18
SG Gelsenkirchen, 14.06.2018 , Az.: S 33 AS 646/17

Titelbild: fizkes/ shutterstock.com

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