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Skandal: Hartz IV Polizei? Jobcenter verhört Zeugen

Verhör

Selbst der Anwalt einer ehemaligen Hartz IV Empfängerin und ihres Ex-Mannes, welche in dieser Geschichte die tragischen Hauptfiguren spielen, bezeichnet das Vorgehen des Jobcenters als „Stasi-Methoden“ und „ungeheuerlich“. Denn das Jobcenter Ostprignitz-Ruppin soll mehrere Nachbarn des geschiedenen Paares angeschrieben und mit dem Ausfüllen eines Fragenkataloges beauftragt haben.

Jobcenter unterstellt Familie Sozialleistungsbetrug

Die 40-jährige Andrea Krause ist zweifache Mutter, arbeitet seit letztem August als Pflegekraft im Schichtdienst. Mit der Scheidung von ihrem Ex-Mann zog sie mit den Kindern vom ehemals ehelichen Haus aus Wustrau ins 20 Kilometer entfernte Garz. Die Kinder besuchen weiterhin Kita und Schule in Wustrau, im Wohnort ihres Vaters. Die Ex-Partner pflegen trotz der Trennung ein gutes Verhältnis und teilen sich die Kindererziehung- und Betreuung.

Für das Jobcenter Ostprignitz-Ruppin scheint dieses Lebensmodell jedoch kaum nachvollziehbar zu sein, da es der Familie regelmäßig Sozialleistungsbetrug unterstellt. Bereits Mitte November hatten Mitarbeiter des Bedarfsermittlungsdienstes in der Wohnung in Garz alle Räume, jeden einzelnen Schrank und selbst einzelne Briefe kontrolliert. Hinweise auf eine immer noch bestehende Bedarfsgemeinschaft fanden sie nicht, welche nämlich die Höhe der Hartz IV Zahlungen geschmälert hätte.

Nachbarn erhalten Briefe mit Fragenkatalog über Ex-Partner

„Weil sich geschiedene Eltern nicht um das gemeinsame Umgangs- und Sorgerecht der Kinder streiten, geht das Jobcenter offenbar automatisch davon aus, dass sie in einer Bedarfsgemeinschaft leben“, sagt Rechtsanwalt Klaus-Dieter Miesbauer. Wobei doch eben ein freundschaftliches Miteinander zum Wohle der Kinder erstrebenswert ist, mag man meinen.

In diesem Jahr wurde dann bekannt, dass das Jobcenter in der Nachbarschaft in Garz und Wustrau Zeugenbefragungen durchführte. Den Nachbarn wurden Fragebögen zugesandt, um zu ermitteln, ob das geschiedene Ehepaar noch gemeinsam wohne, die Küche, Bad oder etwa das Schlafzimmer gemeinsam nutzen würde. Zudem sollten Nachbarn mit eigenen Worten die Beziehung der Betroffenen schildern und berichten, ob sie von gemeinsamen Einkäufen, Behördengängen oder Arztbesuchen wissen. Selbst die vollständigen Namen der Kinder werden in dem Schreiben genannt und darin gefragt, wer sie von der Schule abholt, mit ihnen spielt oder bei den Hausaufgaben hilft.

„Starker Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“

Rechtsanwalt Miesbauer hat sich sofort an die Landesdatenbeauftragte gewandt, da er in den Methoden des Jobcenters ein Verstoß gegen das Sozialgeheimnis sieht. Die Briefe an die Nachbarn seien „ein starker Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“, so Astrid Oehme, stellvertretende Sprecherin der Landesdatenbeauftragten. Eine grundsätzliche Befragung von Zeugen durch das Jobcenter sei zwar erlaubt aber „in der Regel nur im Einzelfall bei anhängigen Klageverfahren nach konkreter Aufforderung durch das zuständige Gericht“, zulässig. Das das Vorgehen des Jobcenters „bedenklich“ sei, will die Landesbeauftragte von der Behörde nun eine Stellungnahme fordern.

„Wir werden als Sozialschmarotzer dargestellt und können gar nichts dagegen tun“, erklärt Anja Krause verzweifelt. Seit Februar beziehe sie nicht einmal mehr Leistungen vom Amt. Doch durch die Befragung wurde für alle Nachbarn offen gelegt, dass Frau Krause auf Leistungen vom Staat angewiesen war. „Ich kann auswandern“, sagt sie. Aktuell hat die Behörde die Befragungen zwar eingestellt, doch wie viele Nachbarn bis dato angeschrieben wurden, ist noch unklar.

Mittlerweile wurde bekannt, dass es sich um keinen Einzelfall handelt, da bereits 2018 in vier weiteren Fällen Zeugenbefragungen vom selben Jobcenter durchgeführt wurden.

Titelbild: Kzenon / shutterstock.com