Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die krankheitsbedingt kostenaufwändige Ernährung benötigen, können hierfür einen Mehrbedarf erhalten. Dabei wird dieser, je nach Erkrankung, entweder prozentual vom Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 (Tabelle siehe unten) oder in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen geleistet.
Mit dieser Art von Mehrbedarf soll sichergestellt werden, dass der Antragsteller die vom Arzt nicht erlaubten Lebensmittel mit Ersatzprodukten bei (chronischen) Erkrankungen ausgleichen kann. Dabei wurde die Liste der Krankheiten, für die Bürgergeld Bedürftige einen Mehrbedarf erhalten können, stark reduziert. Der Gesetzgeber sieht eine Gewährung vornehmlich nur noch bei verzehrenden Krankheiten vor, die erhebliche Auswirkungen für den Körper und Organismus haben.
Inhaltsverzeichnis
Wann Anspruch auf den Mehrbedarf Ernährung?
Ernährungsumstellung muss medizinisch notwendig sein
Einen Anspruch auf diesen Mehrbedarf hat man nur, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der notwendigen kostenaufwändigeren Ernährung (Ernährungsumstellung) und einer Krankheit (drohenden Krankheit) besteht. Dieser Zusammenhang ist mittels eines ärztlichen Attestes nachzuweisen.
Aus der ärztlichen Bescheinigung muss die genaue Angabe über die Krankheit sowie die sich hieraus ergebene, notwendige Ernährung. Auch der Zeitraum bzw. der Beginn der Krankheit und der damit verbundenen Mehraufwendungen für die Kost müssen mitgeteilt werden. Dies hat zusätzlich den Vorteil, dass der Mehraufwand auch rückwirkend gewährt werden kann.
Beispiel: Eine Leistungsbezieherin wird bereits seit längerem von Übelkeit und Verdauungsbeschwerden geplagt. Sie hat den Verdacht, dass eine Nahrungsmittelunverträglichkeit vorliegen könnte, da die Beschwerden nur nach dem Essen auftreten. Beim Arzt wird Zöliakie festgestellt und bescheinigt. Ab sofort muss sich die Patientin glutenfrei ernähren, da eine abweichende Ernährung zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen würde. Glutenfreie Ernährung ist deutlich kostenaufwändiger, weshalb Anspruch auf Mehrbedarf besteht.
Keine gesetzliche Regelung zu Erkrankungen
Welche Kosten für welche Erkrankung zu zahlen sind, ergibt sich nicht aus dem Gesetz, da es in dieser Hinsicht auch keinen Maßstab gibt. Von daher orientiert sich der Gesetzgeber an den Vorgaben bzw. Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge.
Auch der Begutachtungsleitfaden der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens Westfalen-Lippe wird in manchen Fällen herangezogen. Welche Mehrbedarfe bei welchen (chronischen) Krankheiten angemessen sind, hat der Deutsche Verein 2020 erneut ermittelt.
Die festgestellten Bedarfe gelten als Empfehlung ausgehend vom aktuellen Bürgergeld Regelsatz 2023 in der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 502 Euro monatlich (449 Euro bis 31.12.2022). Aufgrund der aktuellen Inflation könnten hier allerdings Anpassungen erfolgen. Sobald diese verfügbar sind, werden sie in diesem Artikel ergänzt.
Wie kann ich den Mehrbedarf für Ernährung beantragen?
Wer Anspruch auf diesen Mehrbedarf hat, muss sich diesen zunächst ärztlich bescheinigen lassen. Dies geschieht zusammen mit dem Antrag auf diese zusätzliche Leistungen. Hier muss entsprechend das Formular „Anlage zur Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung (zu Abschnitt 3 des Hauptantrags)„, kurz Anlage MEB ausgefüllt und an das Jobcenter übermittelt werden.
Das Formular finden Sie auf unserer Seite Bürgergeld Formulare als PDF zum Download und Ausfüllen. Sie können es direkt unter Anlage MEB downloaden und weiternutzen.
Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Der Deutsche Verein hat die Mehrbedarfe als Prozentsätze ermittelt. In der Spalte dahinter finden Sie die ab dem 01.01.2023 gültigen Beträge in Euro.
Art der Erkrankung | Krankenkost/ Kostform | von der RL | in € pro Monat |
Zöliakie/ Sprue (Durchfallerkrankung bedingt durch Überempfindlichkeit gegenüber Klebereiweiß) | Glutenfreie Kost | 20% | 100,40 € |
Mukoviszidose | Fettreiche und hochkalorische Diät | 30% | 150,60 € |
Terminale Niereninsuffizienz mit Dialysetherapie | Kalium- und phosphatarme Kost, erhöhter Proteinbedarf | 5% | 25,10 € |
„Schluckstörungen“ | Andickungsmittel | in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen |
Mehrbedarf aufgrund einer verzehrenden Krankheit
Der krankheitsbedingte Mehrbedarf für die kostenaufwändigere Ernährung aufgrund einer verzehrenden Krankheit ist nur bei schweren Verläufen der Krankheit oder bei besonderen Umständen zu gewähren.
Art der Erkrankung | von der RL | in € pro Monat |
Krebs (bösartiger Tumor) | 10% | 52 € |
HIV-Infektion / AIDS | 10% | 52 € |
Multiple Sklerose (degenerative Erkrankung des Zentralnervensystems, häufig schubweise verlaufend) | 10% | 52 € |
Colitis ulcerosa (mit Geschwürsbildungen einhergehende Erkrankung der Dickdarmschleimhaut) | 10% | 52 € |
Morbus Crohn (Erkrankung des Magen-Darmtrakts mit Neigung zur Bildung von Fisteln und Verengungen) | 10% | 52 € |
Laktoseintoleranz – Milchzuckerunverträglichkeit
Bei der Laktoseintoleranz handelt es sich ebenfalls um eine chronische Erkrankung. Hierzu haben zwei Gerichte einen Mehrbedarf zuerkannt. Das Sozialgericht Dresden (S 38 AS 5649/09) sprach monatlich 31 Euro zu, das Sozialgericht Berlin (S 37 AS 13126/12) lediglich 13 Euro.
Ganz anders entschied das Sozialgericht Aachen (S 20 SO 52/11), das einer Leistungsempfängerin bei einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (Asthma bronchiale) den Mehrbedarf für kuhmilchfreie Kost verweigerte – das Berufungsverfahren ist unter dem Az. L 20 SO 347/12 beim LSG Nordrhein-Westfalen anhängig. Auch das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat mit Entscheidung unter dem Az.: L 6 AS 403/14 vom 16.03.2016 einen Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz verneint.
Eine bundeseinheitliche Regelung gibt es jedoch nicht, so dass im Zweifel selbst der Weg durch die Instanzen der Sozialgerichte geführt werden muss.
Keinen Mehrbedarf gibt es bei
Bei folgenden Krankheiten ist kein Mehrbedarf für kostenaufwändigere Ernährung vorgesehen, da es sich um Vollkost handelt und davon ausgegangen werden kann, dass diese aus dem Bürgergeld Regelbedarf bestritten werden kann:
- Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit – Typ II und Typ I, konventionell und intensiviert konventionell behandelt)
- Dyslipoproteinamien sog. Fettstoffwechselstörungen
- Endometriose
- Fruktosemalabsoption
- Gicht (Erkrankung durch Harnsäureablagerung)
- Hyperlipidämie (Erhöhung der Blutfette)
- Hypertonie (Bluthochdruck)
- Hyperurikämie (Erhöhung der Harnsäure im Blut)
- Kardiale oder renale Ödeme (Gewebswasseransammlung bei Herz- oder Nierenkrankheiten)
- Leberinsuffizienz (Leberversagen)
- Neurodermitis (Überempfindlichkeit von Haut und Schleimhäuten auf genetischer Basis)
- Ulcus duodeni (Geschwür im Zwölffingerdarm)
- Ulcus ventriculi (Magengeschwür)
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat 2019 entschieden, dass Bio-Ernährung keinen Mehrbedarf rechtfertigt. Lesen Sie mehr zum Urteil unter Mehrbedarf für Bio-Ernährung?
Empfehlungen des Deutschen Vereins für private und öffentliche Fürsorge e.V.: DV 12/20 AF IV vom 16.09.2020
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Das Wichtigste in Kürze
Was ist kostenaufwändige Ernährung?
Manche chronische Erkrankungen erfordern eine Umstellung der Ernährungsweise, bspw. bei Zöliakie oder Schluckstörungen. Dabei kann es zu deutlichen Mehrkosten gegenüber der gängigen Vollkost kommen. Bürgergeld Bedürftige können in gewissen Fällen je nach Art der Erkrankung einen Anspruch auf Mehrbedarf geltend machen.
Wie hoch ist der Mehrbedarf für Ernährung?
Die Höhe des Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung hängt von der Erkrankung ab. Der Gesetzgeber orientiert sich an den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Vorsorge. Je nach Art der Erkrankung erhalten Betroffene zwischen 5% und 30% des Regelbedarfs zusätzlich, um den Mehrbedarf zu decken. Allerdings rechtfertigen nicht alle chronischen Erkrankungen einen Mehrbedarf.
Wird Mehrbedarf rückwirkend gezahlt?
Ja, Mehrbedarf für Ernährung kann rückwirkend gewährt werden. Wichtig ist dafür eine ärztliche Bescheinigung mit genauer Angabe über Krankheit, der entsprechend notwendigen Ernährung und damit verbundenen Mehrkosten sowie dem Zeitraum bzw. Beginn der Krankheit.