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Bürgergeld-Urteil: Man muss sich nicht auf jedes Jobangebot des Jobcenters bewerben

Stapel mit Schreiben

Jobcenter verschicken teils wahllos unzählige Vermittlungsvorschläge, auf die man sich bewerben soll. Allerdings liegt nicht in jedem Fall eine Weigerung vor – die mit Sanktionen geahndet wird – wenn man sich nicht auf alle Jobangebote des Jobcenters bewirbt. Hier hat das Sozialgericht erklärt, dass es auf die Betrachtungsweise der Gesamtumstände ankommt, bevor eine Sanktion ausgesprochen wird.

Aufforderungen des Jobcenters nicht Folge zu leisten, kommt Bürgergeld Bedürftige meist teuer zu stehen. Ihnen drohen Leistungskürzungen, die – demnächst – bis zu 100 Prozent des Regelsatzes betragen. Dazu bedarf es dann aber mehr als einer nicht verschickten Bewerbung auf zig Vermittlungsvorschläge. Das Sozialgericht Speyer hat diesbezüglich Augenmaß bewiesen und die Behörde mit dem Hinweis auf eine restriktive Auslegung der starren Gesetzestexte in die Schranken gewiesen (Aktenzeichen S 3 AS 113/20 vom 14. September 2023).

30 Prozent Leistungskürzung

Der Fall ist überschaubar und könnte (rein theoretisch) jedem widerfahren, der Leistungen nach dem SGB II erhält. Ein Mann, der auf Hartz IV (heute Bürgergeld) angewiesen war, hatte vom zuständigen Jobcenter mehrere Vermittlungsvorschläge erhalten. Da er sich schon zuvor auf einige Stellenangebote nicht beworben hatte, waren bereits Sanktionsbescheide erteilt worden.

Jobcenter spricht von Weigerung

Als der Betroffene schließlich erneut nicht auf alle Vorschläge reagierte, aus Sicht des Jobcenters die vierte Weigerung, folgte ein weiterer Bescheid und wurde der Regelsatz um 30 Prozent gekürzt. Laut DGB Rechtsschutzbüro Ludwigshafen waren es fünf von insgesamt 14 Vermittlungsvorschlägen, die von dem Mann zurückgegeben worden waren. Auf neun Stellen hatte er sich beworben.

Nötig ist eine Gesamtbetrachtung

Das Sozialgericht Speyer betonte schließlich, das Entweder-oder des Gesetzes müsse restriktiv ausgelegt werden. Zur Erklärung: Die Vorgaben des SGB II sind sehr starr gehalten. Eine Ablehnung, im vorliegenden Fall die fehlende Bewerbung, ist eine Ablehnung. Minder schwere Fälle, durch die Strafen und somit Leistungskürzungen abgemildert würden, sind nicht vorgesehen. Insofern hätte das Jobcenter korrekt gehandelt. Die Rechtsprechung lege die Vorschriften indes restriktiv aus, erklärte der Richter. Oder anders ausgedrückt: Es kommt auf die notwendige Gesamtbetrachtung an.

Gericht erkennt kein ablehnendes Verhalten

Der Bürgergeld Bedürftige habe sich auf die Mehrzahl der Stellenangebote beworben. Insofern könne nicht von einer Haltung ausgegangen werden, aus der heraus sich der Betroffene weigere, dazu beizutragen, seine Hilfebedürftigkeit zu beenden. Vielmehr sei eine Wertung nötig, wenn einen Leistungsempfänger zur selben Zeit mehrere Vermittlungsvorschläge erreichen. Würde sich jemand bei 100 Stellen nur auf eine nicht bewerben, wäre eine Leistungskürzung offensichtlich rechtswidrig. Bei nur einer Bewerbung auf 100 Angebote wiederum sei es fernliegend, keine Sanktion auszusprechen.

Insofern habe der Kläger die Anbahnung einer Arbeit nicht verhindert. Er sei zwar quantitativ hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben, habe sich aber beworben und damit kein ablehnendes Verhalten an den Tag gelegt. Kurzum: Das Gericht sah keine Weigerungshaltung, die eine Leistungskürzung gerechtfertigt hätte.

Hinweis der Redaktion: Es handelt sich „nur“ um eine Entscheidung eines Sozialgerichts. Aus diesem Grund ist diese Entscheidung auch nur in dem verhandelten Sachverhalt anwendbar. Bedürftige, die in ähnlichen Fällen Sanktionsbescheide mit der Begründung der Weigerung vom Jobcenter erhalten, sollten aber dieses Urteil zur Begründung beim Widerspruch nutzen.

Titelbild: H_Ko / shutterstock.com